Erfahre, warum ich Unwissenheit für eine Stärke und eine Qualitätsmerkmal einer modernen Unternehmensführung erachte.
Die alte Rolle des Chefs im Unternehmen
Als Hauptgeschäftsführer der Kreishandwerkerschaft Cloppenburg bin ich verantwortlich für mehr als 30 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die eine Vielzahl von Produkten, Dienstleistungen, Themen und Prozessen betreuen. Damit geht es mir ähnlich, wie den meisten Chefs von kleinen und mittelständischen Unternehmen.
Immer wieder erreichen mich Telefonate von Mitgliedern und Kunden, die Fragen zu Themengebieten haben, die bei uns im Haus von anderen Kollegen und Kolleginnen bearbeitet werden. Dann will jemand Details zu einem arbeits- oder tarifrechtlichen Problem wissen. Oder Einzelheiten über ein geplantes Seminar. Ein Ausbildungsbetrieb möchte konkrete Hintergründe zur Planung der überbetrieblichen Unterweisung eines bestimmten Auszubildenden erläutert haben.
Höflich aber bestimmt erkläre ich dann, dass ich die Antworten auf diese Fragen nicht kenne, aber gern den Kontakt zu den verantwortlichen Kollegen oder Kolleginnen herstelle.
Immer wieder heißt es dann, aber ich sei doch Chef, ich müsste das doch wissen.
Dr. Michael Hoffschroer
Vor kurzem ist mir diese Haltung in einem anderen Kontext nochmals begegnet: Es ging um die Frage, ob in einer öffentlichen Verwaltung Anfragen von gewählten Abgeordneten von einem leitenden Verwaltungsmitarbeiter ohne Rücksprache mit dem Hauptverwaltungsbeamten (HVB) beantwortet werden dürften oder nicht.
Einige Personen, mit denen ich diese Frage erörterte, meinten, dass die Antworten in jedem Fall mit dem HVB abzustimmen seien. Dieser müsse über alles informiert sein, was offiziell nach außen getragen würde, sonst bestünde die Gefahr, dass Antworten und Antwortende gegeneinander ausgespielt würden oder der HVB entweder als inkompetent oder führungsschwach erscheinen würde.
In beiden Fällen sehe ich vier grundsätzliche Haltungen, die in diesen Aussagen zum Ausdruck kommen:
- der Chef/die Chefin muss immer alles (besser) wissen und können
- nur der Chef/die Chefin ist in der Lage komplexe Zusammenhänge zu erklären
- nur der Chef/die Chefin hat das Gesamtinteresse der Firma/Institution im Blick
- der Chef/die Chefin dürfen keine Schwäche zeigen.
Die VUKA-Welt
Alle vier Ansätze halte ich für nicht mehr zeitgemäß und sogar gefährlich. In einer VUKA-Welt, also einer volatilen, unsicheren, komplexen und mehrdeutigen Umwelt, bedarf es anderer Strategien und Führungskompetenzen.
Schauen wir uns dafür kurz an, wofür das Akronym VUKA steht:
- Volatilität (volatility) beschreibt die sprunghafte, teilweise disruptive Veränderung des Unternehmensumfeldes.
- Ungewissheit (uncertainty) beschreibt den Zustand unter dem in einer nicht linearen Welt zukunftsorientierte Entscheidungen getroffen werden.
- Komplexität (complexity) beschreibt die Vielschichtigkeit und Vernetzung von Umfeld- und Entscheidungsvariablen, mit denen Unternehmen konfrontiert sind.
- Ambiguität (ambiguity) beschreibt eine von Widersprüchen, Mehr- oder Doppeldeutigkeit geprägte Unternehmensumwelt.
Der Versuch, in einem solchen Umfeld einfache, lineare, eindeutige und starre Antworten, Strategien zu finden, muss scheitern, da die Veränderungshäufigkeit und Veränderungsgeschwindigkeit der Umfeld- und Entscheidungsvariablen höher ist als die Dauer der Etablierung der aus der Strategie abgeleiteten Maßnahmen und Prozesse.
Dr. Michael Hoffschroer
Die neue Rolle des Chefs
Erfolgreiche Chefs müssen in einer VUKA-Welt deutlich stärker auf das große Ganze fokussiert sein. Sie verfolgen eine Vision, haben eine Mission. Sie verstehen Zusammenhänge, ohne durch Detailkenntnis abgelenkt zu sein. Sie schaffen Klarheit über Ziele, ohne jeden Zentimeter des Wegs im Vorfeld zu beschreiben und vorzugeben. Sie sind in der Lage, flexibel auf veränderte Rahmenbedingungen zu reagieren oder sogar Rahmenbedingungen zu gestalten, ohne ihr langfristiges Ziel aus dem Blick zu verlieren.
Hierzu bedarf es eines bestimmten Mindsets, das ich unter anderem in meinen Blog-Post DREI ANKER IM MINDSET ERFOLGREICHER HANDWERKSUNTERNEHMER! beschrieben habe. Und es Bedarf einer neuen Art der Mitarbeiterführung. Hierzu lies gern nochmals in meinem Beitrag ERFOLG NUR IM DIALOG – DAS KONZEPT EGO-SOZIALER FÜHRUNG und in weiteren Blog-Beitragen zum Thema Führungskompetenz nach.
Noch drei Eigenschaften moderner Führungskräfte
Ergänzent zu den Aussagen in meinen o. g. Beiträgen will ich heute den Blick auf drei Eigenschaften lenken, die moderne Führungskräfte mitbringen sollten
- Delegationskompetenz – arbeiten am statt im Unternehmen; scharre Leute um Dich, die besser sind als Du und vertrauen in die Fähigkeiten deiner Mitarbeiter.
- Konstruktive Fehlerkultur – nur wer nicht arbeitet, macht keine Fehler; Fehler sind nicht um jeden Preis zu vermeiden, aber man muss aus ihnen lernen.
- Vertrauen in Deine Mission – wenn es Dir gelingt, eine sinnstiftende Idee deines Unternehmens zu schaffen, wird diese dafür sorgen, dass sich die Mitarbeiter daran ausrichten und ohne Führung im Detail zum Gelingen der Gesamtmission beitragen.
Und was heißt das jetzt konkret?
Delegationskompetenz
Delegieren ist die Übertragung von Aufgaben, Verantwortung oder Kompetenzen an andere – in der Regel die Mitarbeiter, um selber effizienter und effektiver zu arbeiten.
Delegationskompetenz bedeutet, dass man Aufgaben an diejenigen weitergibt, die freie Kapazitäten haben und idealerweise die Sachen besser können, als derjenige, der die Delegation vornimmt.
Delegationskompetenz setzt voraus, dass dem Delegationsempfänger Entscheidungsbefugnisse und Ermessensspielräume eingeräumt werden, was wiederum Vertrauen des Delegierenden in die Leistungsfähigkeit und Leistungsbereitschaft des Delegationsempfängers voraussetzt.
Konstruktive Fehlerkultur
Fehler passieren und trotzdem herrscht in den meisten Unternehmen und Institutionen bis heute eine eher rigide Fehlerkultur vor: Fehler werden bestraft.
Durch eine konstruktive Fehlerkultur kann es gelingen, dass Fehler aus Angst vor der Strafe weniger häufig verschämt verschwiegen oder gar vertuscht werden. Ressourcen, die heute noch für die Suche nach den Schuldigen aufgewandt werden, könnten für die zukünftige Vermeidung des Fehlers eingesetzt werden. Durch die angstfreie Atmosphäre am Arbeitsplatz wird kreative Energie frei.
Eine konstruktive Fehlerkultur heißt dabei gerade nicht, dass Fehler ignoriert werden, dass mit weniger Sorgfalt gearbeitet wird. Fehler, die passiert sind, werden allerdings sofort behoben und Folgeprobleme damit vermindert. Fehler werden analysiert, um so daraus Schlussfolgerungen zu ziehen, wie diese Fehler zukünftig vermieden werden können oder, wie sich daraus sogar Optimierungspotentiale ergeben.
Vertrauen in Deine Mission
Weißt Du warum und wofür Du tust, was Du tust? Wenn nicht, wird es Dir sehr schwer fallen, anderen zu erklären, warum Sie etwas für Dich tun sollten.
Andererseits wird es Dir umso einfacher fallen, Menschen von Deiner Idee zu überzeugen, dass Menschen sich für die Umsetzung Deiner Idee einsetzen, je verständlicher und nachvollziehbarer Du das Warum erklären kannst.
Mit dieser Mission gibst Du die grundsätzliche Richtung vor und eröffnest dem Team, sich damit zu identifizieren. Deine Mission zur Mission des Unternehmens, zu ihrer eigenen zu machen. Eine sinnstiftende, kurz und knapp formulierte Mission, hat die Kraft, Mitarbeitern den notwendigen Fokus zu geben, wenn Sie ihren Entscheidungs- und Ermessensspielraum zielgerichtet ausnutzen.
Fazit
In einer sprunghaften, unsicheren, informationsgetriebenen Welt kann eine starre, risikoaverse und auf Herrschaftswissen ausgerichtet Unternehmensstrategie keinen nachhaltigen Erfolg bieten. Sie gefährdet das Unternehmen.
Gerade im kleinen und mittelständischen Handwerk müssen wir die schnellen, kurzen Entscheidungswege, die herausragende Marktnähe und die geringe Distanz zwischen Unternehmern und Mitarbeitenden nutzen, um mit einer entsprechend modernen Unternehmens- und Führungskultur erfolgreich zu sein.
Die Unwissenheit des Chefs über Details aus Arbeitsbereichen, die von ihm an kompetente Mitarbeitende delegiert worden sind, wird damit zum Qualitätsmerkmal moderner Unternehmensführung.
Dr. Michael Hoffschroer
Quellen
https://t2informatik.de/wissen-kompakt/vuka/
https://karrierebibel.de/delegieren/
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