
Der Wert von Menschlichkeit in der Mitarbeiterführung wird gerade in Zeiten der digitalen Transformation unterschätzt. Erfahre wieso gerade wir im Handwerk viel mehr darauf setzen sollten, diesen Aspekt bei der Gewinnung und Bindung von Mitarbeitern zu betonen.
Menschlichkeit – eine Frage des Menschenbildes
Gerade in Zeiten der digitalen Transformation, in der in der Unternehmensführung der Fokus häufig auf Hard- und Software, auf Automatisierung und künstliche Intelligenz gelegt wird, will ich den Blick auf das Thema Menschlichkeit lenken.
Der Begriff der Menschlichkeit betont die Dinge, die den Menschen im Kern von anderen Lebewesen, aber auch von Maschinen, Geräten und Werkzeugen unterscheidet.
Insofern dürfte klar sein, dass ein wesentlicher Bestandteil der Menschlichkeit in der emotionalen Wahrnehmung und Bewertung des Umfeldes und des daraus subjektiv abgeleiteten Handelns liegt.
Und daraus wiederum ergibt sich, dass eine Definition von Menschlichkeit immer im Kontext der zugrundeliegenden Weltanschauung, Religion, Kultur, der eigenen individuell definierten Werten und Vorstellungen zu sehen ist. Diese Grundlagen lassen sich als Menschenbild zusammenfassen.
Menschenbild ist ein in der philosophischen Anthropologie gebräuchlicher Begriff für die Vorstellung, die jemand vom Wesen des Menschen hat. (…) Insofern der Mensch Teil der Welt ist, ist das Menschenbild auch Teil des Weltbildes.
Wikipedia
Auf der Basis unseres Menschenbildes machen wir Vorhersagen darüber, wie andere Menschen Entscheidungen treffen, sich verhalten und auf Reize reagieren. Als Führungskraft versuchen wir dann das Verhalten des Gegenüber auf Basis dieser Vorhersagen zielgerichtet zu beeinflussen.
Menschenbild(er) und Führung
Ganz wesentlich für die Mitarbeiterführung sind zunächst einmal alltagspsychologische Annahmen, die unser Menschenbild prägen können.
Dies sind z. B. Vorurteile, Stereotypen oder andere Mutmaßungen, die auf den ersten Blick vernünftig erscheinen und häufig unbewusst unsere Wahrnehmung und unser Handeln beeinflussen.

Da diese alltagspsychologischen Annahmen eine große Gefahr von Wahrnehmungs- und Ableitungsfehlern, wie z. B. Halo-Effekt oder selbsterfüllenden Prophezeiungen, bergen, sollten Führungskräfte sich dieser Problematik bewusst sein und ihr Führungsverhalten entsprechend kritisch reflektieren.
Für die Mitarbeiterführung spielt in Deutschland darüber hinaus vor allem das Menschenbild unseres Grundgesetzes eine wesentliche Rolle.
Vor allem die freiheitlich demokratische Grundordnung als Ausschnitt des Grundgesetzes beschreibt dieses Menschenbild, das im Kern durch den Ausgleich des Spannungsverhältnisses von individueller Freiheit und sozialer Verantwortung geprägt ist. Dementsprechend findet dieses Menschenbild seinen Niederschlag in Gesetzen und Verordnungen und wird vom Staat geschützt. Ganz wesentliche Aspekte des grundgesetzlichen Menschenbildes sind die Achtung der Menschenrechte, die Unantastbarkeit der Würde des einzelnen Menschen, die Gleichberechtigung der Geschlechter und die Erkenntnis, dass der Mensch ein soziales Wesen ist und entsprechende Verantwortung für sich und andere übernehmen muss.
Auch organisationspsychologische Menschenbilder spielen für die Mitarbeiterführung eine erhebliche Rolle, da Sie oftmals (zumindest implizite) Grundlage entsprechender Qualifikationen von Führungskräften sind.
Weit verbreitet sind hier zum Beispiel die von Douglas McGregor in seiner Theorie X und Theorie Y geprägten, gegensätzlichen Menschenbilder bezüglich des Verhältnisses von Menschen zu ihrer Arbeit. Während die Theorie X davon ausgeht, dass der Mensch grundsätzlich versucht, Anstrengung zu vermeiden und nur auf äußere Anreize reagiert (homo eoconomicus), betont Theorie Y die sinnorientierte Eigenmotivation des Menschen (social man, self actualizing man).
In neueren Ansätzen wurden diese Theorien weiter differenziert, da viele Untersuchungen zu der Erkenntnis gelangten, dass ein vereinfachendes Menschenbild u. a. aufgrund wechselnder Bedürfnisse und Motive oder unterschiedlicher Persönlichkeitsstrukturen die Komplexität der Menschlichkeit nicht gerecht wird (complex man).
Menschlichkeit als positives und respektvolles Menschenbild
Immer mehr setzt sich dabei folgende Sichtweise durch:
Das Menschenbild ist deshalb dermassen wichtig, weil sämtliche Führungsstile und Managementtechniken und ein gewünschtes Führungsverhalten gar nicht greifen und wirken können, wenn ein positives und respektvolles Menschenbild als Grundlage und Fundament fehlt.
Das Menschenbild: Der Faktor erfolgreicher Führung, von dem niemand spricht
Auf Basis meiner Erfahrung im Handwerk und als Führungskraft eines mittelständischen Unternehmens ist dieses positive, respektvolle Menschbild dadurch bestimmt, dass der Mensch definiert wird als
- komplexes Gebilde aus Körper, Intellekt und Seele,
- fehlbares, mängelbehaftetes Wesen,
- würdevolles Geschöpf und Träger universeller Menschenrechte,
- freies, selbstgeleitetes Individuum und
- verantwortungsvoller Teil einer sozialen Gruppe.

Die Menschlichkeit in der Mitarbeiterführung zeigt sich dementsprechend darin, dass die Führungskraft seine Gefolgsleute als ganzheitliche Wesen wahrnimmt und sie unterstützt, sowohl ihre körperlichen, intellektuellen als auch emotionalen Bedürfnisse zu befriedigen.
Dabei fördert die Führungskraft die Stärken der Teammitglieder, baut eine vertrauensvolle Beziehung auf und erzeugt eine konstruktive Fehlerkultur. Selbstverständlich wahrt die Führungskraft die Würde und Rechte jedes Mitarbeitenden, fördert und fordert deren Entwicklung, sowohl als Individuum als auch als Teil des Unternehmens. Die Übertragung von Verantwortung und das Zutrauen in jeden Einzelnen sind Teil der Menschlichkeit in der Mitarbeiterführung.
Radikale Menschlichkeit als Chance für das Handwerk
Vor wenigen Wochen hatte ich die Ehre, einen ganz besonderen Text in den Händen halten zu dürfen. Die Inspiration zu diesem Blogbeitrag, bzw. der Perspektivwechsel, der notwendig war, um meine Gedanken in dieser Form aufschreiben zu können.
Sie ziehen immer an, was Sie ausstrahlen
Jörg Mosler in Chefsache Mensch
Jörg Mosler propagiert in seinem neuen Buch „Chefsache Mensch“ zur Mitarbeitergewinnung und -bindung die radikale Menschlichkeit. Er fordert Führungskräfte dazu auf, vom Grunde auf menschlich zu sein – gerade in Zeiten der digitalen Transformation.

Menschen wohne seiner Meinung nach Fähigkeiten inne, die Maschinen nicht besitzen. Menschen könnten mit Unterstützung und Vertrauen anderer Menschen über sich hinaus wachsen.
Dieser radikale Gedankengang hat mich sehr berührt. Er hat mich darüber nachdenken lassen, warum wir als Coach und Berater diese Idee, den Menschen in den Mittelpunkt zu stellen, immer wieder herausstellen müssen. Sollte er nicht eine Selbstverständlichkeit sein?
Gerade im Handwerk, wo wir so häufig darüber lamentieren, dass wir z. B. die Gehälter oder tariflichen Vergünstigungen der Industrie nicht mitgehen können, sollten wir auf radikale Menschlichkeit als Kern einer strategischen Personalarbeit setzen.
Die Voraussetzungen dafür sind hervorragend, denn Handwerk zeichnet sich durch persönliche Nähe aus.
Dr. Michael Hoffschroer
In den kleinen und mittelständischen, familiengeführten Unternehmen arbeiten Führungskraft und Mitarbeiter eng zusammen. Man kennt sich persönlich und weiß, wie der andere tickt.
Unternehmer und Arbeitnehmer begegnen sich oftmals auch außerhalb der Arbeit, z. B. im Sportverein, bei der Feuerwehr, bei örtlichen Festen und Veranstaltungen. Man ist Teil derselben Community und knüpft Verbindungen, die über die Arbeit hinausgehen.
Darüber hinaus liegen Fachkompetenz und Führungsverantwortung in den Handwerksbetrieben häufig in einer Hand. Der Chef ist nicht nur Unternehmer sondern versteht auch sein Handwerk und damit das seiner Mitarbeiter. Man redet auf Augenhöhe miteinander.

Diese persönliche Nähe, gepaart mit einem positiven und respektvollen Menschenbild, einer guten Portion Führendenkompetenz, dem richtigen Unternehmer-Mindset und den passenden Handlungsmaximen können für die Handwerksunternehmer der Schlüssel zu einer erfolgreichen Zukunft sein.
Wenn Du nun darüber nachdenkst, dass diese persönliche Nähe doch zu Problemen führt, kann dies sicherlich richtig sein. Wie so häufig gilt es die passende Balance zu finden. Und deshalb will ich Dir zum Abschluss gern noch den Tipp der Wirtschaftspsychologischen Gesellschaft mit auf den Weg geben:
Behandele Deine Mitarbeiter immer ein wenig kompetenter, selbständiger, vertrauenswürdiger… als diese vielleicht tatsächlich sind. So entwickeln Sie diese Menschen in die gewünschte Richtung.
Wirtschaftspsychologische Gesellschaft
Quellen
https://karrierebibel.de/menschlichkeit/
https://de.wikipedia.org/wiki/Menschenbild#Psychologie_der_Menschenbilder
https://www.gesetze-im-internet.de/gg/BJNR000010949.html