Und wieso sie häufig nichts dafür können.
Stell‘ Dir vor, Du kennst die kompetenteste Führungskraft ever. Die Person erfüllt alle Kriterien, die wir von jemandem mit Leadership-Kompetenz erwarten. Sie ist fachlich, sozial und methodisch in der Lage, organisatorisch zuständig und persönlich bereit, die ihr zugedachte Verantwortung zu übernehmen.
Die Person verfügt über Führungskompetenz, die sich in Anlehnung an ein Kompetenzschema, das ich in meiner Dissertation zum Thema Beraterkompetenz aufgestellt habe, wie folgt als FÜHRENDENKOMPETENZ darstellen lässt:
Stell‘ Dir weiter vor, wir beobachten diese Führungskraft bei ihrer täglichen Arbeit, bei der Erfüllung der leichten und der schwierigen Managementaufgaben. Und dabei stellen wir immer wieder überrascht fest, dass die Ergebnisse nicht den Erwartungen entsprechen.
Also schauen wir nochmal genauer hin, wie die Führungskraft ihre Aufgaben bisher erledigt hat. Wie ist die Prozessgestaltung? Mit Blick auf die fachlichen Fragen und die erforderlichen Managementvorgaben sind die Prozesse effizient und störungssicher gestaltet! Wie ist die Kommunikationsgestaltung mit externen Stakeholdern? Alle Lieferanten, Kunden und andere Beteiligte sind umfassend und rechtzeitig informiert. Wie ist die interne Kommunikation gestalten? Auch hier sind Transparenz und Klarheit als Leitlinien vorbildlich umgesetzt. Auch bei allen weiteren Themen, die von einer herausragenden Führungskraft erwartet werden, zeigen unsere Beobachtungen und Analysen, dass die Führungskraft alles richtig macht. Oder zumindest richtig zu machen scheint, denn die Ergebnisse entsprechen weiterhin nicht den Erwartungen.
Stell‘ Dir jetzt vor, wir fragen nun einen dieser typischen Führungskraftecoaches, was da gerade passiert. Die Antwort sieht sehr wahrscheinlich wie folgt aus:
„Der Führungskraft gelingt es offensichtlich nicht, dass Potential des Teams vollständig abzurufen. Sie zeigt wohl doch nicht genug Wertschätzung für die Arbeit ihres Teams. Wir werden nochmals analysieren müssen, ob die Führungskraft die richtigen Mitarbeiter mit den passenden Aufgaben betraut hat. Auch am Thema interne Kommunikation muss wohl noch gearbeitet, bei der Umsetzung der Unternehmensvision hat die Führungskraft anscheinend nicht alle Kolleginnen und Kollegen mitnehmen können. Unter Umständen müssen weitere Qualifizierungsmaßnahmen für die Führungskraft zur Verfügung gestellt werden, damit sie sich und ihre Arbeit weiter entwickeln kann, damit das Potential des Teams optimal ausgeschöpft wird.“
Nullachtfünfzehn Führungskräftecoach
So oder so ähnlich nehme ich den Kern vieler Vor- und Beiträge zum Thema „Führungskräfteschulung“ wahr. Stimmt das Ergebnis nicht, liegt es an falscher Führung. Die Verantwortung für das Scheitern wird fast ausschließlich bei der Führungskraft verortet.
Führungskräfte sind nicht genügend wertschätzend, transparent, emphatisch, fachkompetent, führungsstark etc. Sie verfolgen den falschen Führungsstil, haben die falschen Mitarbeiter ausgewählt, die Prozesse nicht richtig organisiert oder wichtige Entwicklungen nicht rechtzeitig erkannt und deshalb zu spät die notwendigen Anpassungen eingeleitet oder gar die schwierigen Entwicklungen gar nicht erst verhindert, obwohl das doch ihre Aufgabe gewesen wäre.
Im Profifußball führt dies dazu, dass Trainer und Manager häufiger zur Verantwortung gezogen werden und ihren Job verlieren als Spieler. In Handwerksunternehmen dazu, dass immer mehr Inhaber und Führungskräfte an ihren Aufgaben verzweifeln und sich im Hamsterrad gefangen fühlen.
Was ich aber eben auch feststelle, dass diese Zuschreibung von alleiniger Verantwortung zur Führungskraft regelmäßig nicht passt. Nicht nur, weil Führungskräfte hier offensichtlich zur eierlegenden Wollmilchsau stilisiert werden, sondern weil gerade in Zeiten des zunehmenden Fachkräftemangels systematisch eine mögliche Quelle suboptimaler Betriebsergebnisse ausgeblendet wird: die Mitarbeiter.
Dabei geht es mir in dieses Beitrag nicht um die Frage von fachlicher Kompetenz oder Teamfähigkeit eines Mitarbeiters. Also nicht um die Frage, ob die Führungskraft tatsächlich den falschen Mitarbeiter, im falschen Team, mit der falschen Aufgabe betraut hat. Sondern um die GEFOLGSCHAFTSKOMPETENZ der Mitarbeiter.
Eigentlich eine Selbstverständlichkeit, dass ich als Gegenstück, als die andere Seite der Medaille zur Führendenkompetenz, auch eine Kompetenz der Geführten erwarten muss, um zu guten, im besten Fall optimalen Ergebnissen zu gelangen.
Aber eine Google Suchanfrage zum Thema „Kompetenz von Untergebenen“ und ähnlichen Schlagwörtern ergab viele Treffen zu Führungskompetenz, kaum relevante Treffer zu FÜHRENDENKOMPETENZ oder dem Gegenstück dazu auf Mitarbeiterseite, der GEFOLGSCHAFTSKOMPETENZ.
Denn auch wenn die deutschsprachige Forschung bereits in den 1950er, 60er und 70er-Jahren Führung als Interaktionsprozess definiert hat und drauf hinwies, dass Geführte Führungsbeziehungen und damit das Verhalten von Führungskräften beeinflussen können, ist diese Sichtweise heute doch faktisch nicht mehr vorhanden.
Lediglich im englischsprachigen Raum habe ich Ansätze von Followership (Gefolgschaft) als Gegenstück zur Leadership (Führung) gefunden.
Dennoch, oder gerade deshalb bin ich überzeugt: Auch Mitarbeiter müssen fachlich, sozial, methodisch kompetent sein, müssen organisatorisch verantwortlich und persönlich bereit sein, ihre Aufgabe im Unternehmen zu erfüllen.
Die GEFOLGSCHAFTSKOMPETENZ lässt sich dementsprechend analog zur Führungskompetenz so darstellen:
Insbesondere mit Blick auf die Gallup-Studie zur Mitarbeiterloyalität plädiere ich deshalb sehr dafür, dass wir bei aktuellen Diskussionen sowohl im volks- als auch im betriebswirtschaftlichen Kontext nicht vergessen, dass Führungskraft und Mitarbeiter, Vorgesetzter und Untergebener, Unternehmer und Angestellter in einem wechselseitigen Abhängigkeitsverhältnis zueinander stehen. Der eine kann nur so gut sein, wie der andere.
Gefolgschaftskompetente Mitarbeiter zeichnen sich dann vor allem auch durch Loyalität gegenüber ihrem Arbeitgeber, ihren Vorgesetzten und Kollegen, durch Leistungs- und Verantwortungsbereitschaft, durch Bereitschaft sich kompetent führen zu lassen und seine Funktion im betrieblichen Organigramm zu 100% zu erfüllen, aus.
Lasst uns also nicht nur an der Verbesserung der Führungskompetenz sondern auch der Gefolgschaftskompetenz arbeiten und gemeinsam Dinge im und für das Handwerk zum Besseren bewegen.
Dr. Michael Hoffschroer
PS: Schreibt mir gern, welche Eigenschaften ihr von der idealen Führungskraft und dem idealen Mitarbeiter im Hinblick auf Führungs- und Gefolgschaftskompetenz erwartet?!
Quellen:
Stefan Krummaker, Bernd Vogel: Fokus Followership: Führungsbeziehungen als quasi gleichberechtigter Interaktionsprozess zwischen Führungskräften und Geführten; Gabler Verlag, Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011 (https://link.springer.com/chapter/10.1007/978-3-8349-6636-0_12)
Wikipedia: Followership is the actions of someone in a subordinate role. It can also be considered as a specific set of skills that complement leadership (https://en.m.wikipedia.org/wiki/Followership)
Randolf Jessl: Was ist eigentlich Followership?(https://www.haufe.de/personal/hr-management/kolumne-leadership-was-ist-eigentlich-followership_80_468248.html)
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