Kaum ein Thema wird von fast allen Personalberatern oder Coaches so häufig in den Vordergrund gerückt wie das regelmäßige Mitarbeitergespräch. Mindestens einmal jährlich – so die wiederholte Empfehlung – sollte die Vorgesetzte oder der Chef sich mit jedem seiner Mitarbeiter zusammensetzen, das zurückliegende Jahr reflektieren und die Ziele für das bevorstehende Jahr gemeinsam festlegen.
In der praktischen Umsetzung sind die Mitarbeitergespräche jedoch oftmals mehr Zeitverschwendung als sinnvolles Führungsinstrument. Das liegt vor allem an zahlreichen Fallstricken, die die Sinnhaftigkeit der Gespräche in vielerlei Hinsicht in Frage stellen.
Warum Mitarbeitergespräch als Führungsinstrument gescheitert sind
Im Sommer 2010 habe ich die Leitung der Kreishandwerkerschaft Cloppenburg übernommen. Wir beschäftigten seinerzeit rund 30 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Verwaltung und dem Bildungszentrum. In einer ersten Mitarbeiterbefragung kam u. a. heraus, dass sich meine Kolleginnen und Kollegen mehr Kommunikation mit der Chefetage wünschten.
Ich selbst habe daraufhin das jährliche Mitarbeitergespräch als Führungsinstrument bei der Kreishandwerkerschaft Cloppenburg eingeführt. Drei oder vier Jahre später habe ich es ernüchtert und frustriert wieder abgeschafft!
Was waren meine Gründe für diese Entscheidung? Dazu werde ich Euch hier vier zentrale Punkte nennen.
Beide Seiten empfanden das aufgezwungene Gespräch als unangenehm
Den klassischen Empfehlungen folgend, habe ich die Gespräche anhand eines Leitfadens vorbereitet und auch durchgeführt. Im Mittelpunkt standen
- die Reflektion des zurückliegenden Jahres (Was ist gut gelaufen, was nicht?),
- die Ziele für das nächste Jahr (Was willst Du erreichen? Was sollst Du erreichen? Worauf einigen wir uns und wie prüfen wir das Erreichen?) sowie
- die Entwicklungsperspektive (Welche Weiterbildungen stehen aus Deiner Sicht und aus meiner Sicht an? Auf welche Weiterbildungen verständigen wir uns?)
In den Mitarbeitergesprächen ging es also nicht nur um Feedback zu Leistung und Verhalten, sondern auch um Motivation, Steuerung, Zielvereinbarung, Mitarbeiterbindung, Potenzialbeurteilung, Talentidentifizierung sowie Lernen und Personalentwicklung. Diese Überladung war bestenfalls blauäugig, sorgte aber in jedem Fall für zeitlichen und inhaltlichen Druck, der wiederum nicht selten in einer unentspannten Gesprächsatmosphäre mündete.
Die durch den Leitfaden vorstrukturierten Gespräche ließen darüber hinaus zwar durchaus noch etwas Platz, um auch persönliche und individuelle Themen anzusprechen. Grundsätzlich überlagerten aber die festgelegten Bewertungskriterien und Beurteilungskategorien, der geregelte Ablauf und der strukturierte Fragenkatalog diese „Freiheit“. So dass wir zwar in allen Gesprächen zu einem vergleichbaren Output kamen, die Mitarbeitergespräche aber in dramatischem Widerspruch zu dem Anspruch eines individuellen, persönlichen Austausches standen.
Insgesamt empfanden beide Seiten das aufgezwungene Gespräch als unangenehm.
Kein Feedback auf Augenhöhe, sondern ein asymmetrisches Beurteilungsgespräch
Wenn ich heute auf die Mitarbeitergespräche zurückblicke war eine der großen Schwächen, dass die Gespräche als Instrument eins hierarchischen Systems eingesetzt, zumindest aber von den Arbeitnehmerinnen so wahrgenommen wurden.
Was von mir als Feedback-Gespräch gedacht war, dient in Wahrheit in erster Linie einem Managementprozess.
Die Erwartung der Mitarbeiter, mehr Transparenz und Nähe zu den Entscheidungsprozessen im Management, haben wir durch die Jahresgespräche nie erreicht. Denn faktisch fand kaum ein offener und persönlicher Austausch statt.
Es handelte sich auch nicht um ein gegenseitiges Feedback, sondern vielmehr um ein asymmetrisches Beurteilungsgespräch. Ich beurteilte die Leistung der Kolleginnen. Das Mitarbeitergespräch, wie ich es damals geführt habe, war vor allem aber kein adäquates Mittel, um Vertrauen aufzubauen.
Fehlende Gesprächskompetenz
Dass ich es nicht geschafft habe, durch die strukturierten Jahresgespräche mehr Vertrauen meiner Mitarbeiter aufzubauen, lag wiederum insbesondere daran, dass ich sehr stark defizitorientiert in den Austausch hineingegangen bin. Stärken wurden zwar auch thematisiert, wurden aber rasch zur Nebensache, da wir uns ja gemeinsam verbessern wollten. Und da schien es richtig, sich um die Beseitigung der Schwächen zu kümmern.
Hinzu kam, dass beide Seiten – also sowohl meine Kolleginnen als auch ich – damals keine adäquate Kommunikationskompetenz hatten. Zusammenfassend und zugegeben zugespitzt lässt sich die Situation wohl wie folgt beschreiben:
Ich hatte in einem universitären Umfeld gelernt, auf Augenhöhe, kritisch und reflektiert mit meinen Kollegen und Vorgesetzen zu diskutieren. Gleichzeitig war klar, dass immer das bessere Argument in der internen Debatte -unabhängig von der hierarchischen Stellung – den Ausschlag gab, aber in der Kommunikation nach außen, die Position wichtiger war als die Person.
Diese akademische Kultur traf jetzt in der Kreishandwerkerschaft Cloppenburg auf eine traditionelle Betriebskultur, die vor allem durch faktische Nicht-Kommunikation zwischen den Hierarchiestufen geprägt war.
Transparenz und Diskussionskultur wurden nicht gelebt. Das Überstülpen der Mitarbeitergespräche konnte darüber nicht hinwegtäuschen, obwohl vor allem die Kollegen im Ausbildungsbereich sehr viel Entscheidungsfreiheit hatten. Feedback zu den getroffenen Entscheidungen gab es in der Regel aber nur, wenn Fehler festgestellt wurden. Und damit eben regelmäßig überwiegend kritisch und wenig konstruktiv.
Auf beide Seiten fehlte damit das Verständnis für die Kommunikation des jeweiligen Gegenübers. Und es fehlte die Kompetenz, die Gespräche dennoch so zu führen, dass die gegenseitigen Erwartungen hätten erfüllt werden können.
Viel zu oft haben die vier Ohren des Empfängers die falschen vier Botschaften des Senders wahrgenommen oder die vier Münder des Senders falsche Signale an die vier Ohren des Empfängers vermittelt.
Isolierte Gespräche, die keine nachhaltige Wirkung erzielen
Und diese fehlende persönliche Kommunikationskompetenz traf auch noch auf eine schlechte Organisation. So gab es weder eine übergeordnete Unternehmenskultur, noch verbindende Kommunikationsstrukturen oder -regeln, die eine nachhaltige Wirkung der Gespräche gefördert hätten.
Weder zum Aufbau der Gesprächskompetenz noch zur effizienten Umsetzung der Gesprächsergebnisse hatte ich mir im Vorfeld Gedanken gemacht. Einzig und allein der Gesprächsleitfaden und die Vorlage für die Dokumentation der Gespräche waren ausgearbeitet.
Diese mangelnde Vorbereitung führte dazu, dass die einzelnen Mitarbeitergespräche unverknüpft nebeneinander stehen blieben. Eine gesprächsübergreifende Auswertung erfolgte nicht. Das führte dazu, dass keine strategischen Auswirkungen abgeleitet wurden, sondern – wenn überhaupt – Auswirkungen nur auf der Ebene des einzelnen Mitarbeiters erkennbar waren.
Hinzu kam, dass die Gespräche auch deshalb isoliert stehen bleiben, da es keinerlei Besprechungskultur und -organisation zwischen den Jahresgesprächen gab. Mit rund 30 Mitarbeitern traf man sich zwar quasi zwangsläufig immer wieder bei der täglichen Arbeit aber die Zusammentreffen waren ungeplant, unstrukturiert und fanden in der Regel zwischen Tür und Angel statt.
Was noch schlimmer war, die Jahresgespräche führten zu einer trügerischen Sicherheit. Ich ging z. B. Konfliktgesprächen aus dem Weg, da ich ja wusste, dass nächste Jahresgespräch steht irgendwann wieder an und dann konnte ich ja auch die Kritik entsprechend vorbringen. Das aber passierte nicht, weil ich die Situation zum Teil mehrere Monate später gar nicht mehr im Blick hatte oder der Kollege keine Verbindung zwischen meiner Kritik und der Situation mehr herstellen konnte. Oder es ihm sogar so vorkam, als wenn die Kritik unberechtigt sei. Wenn es wirklich so problematisch gewesen wäre, hätte der Chef ja sofort etwas gesagt, oder?
Zwischenfazit
Die Mitarbeitergespräche wurden also sehr schnell zu einem unbeliebten und unnützen Ritual, das nur sehr wenige positive Wirkungen erzielte. Sie waren reine Zeitverschwendung!
Schon im Jahr 2016 fasste der Zukunft Personal Blog eine Umfrage unter Fachbesuchern auf der PERSONAL2016 Nord in Hamburg diese kritische Haltung zu den Mitarbeitergesprächen so zusammen: „Dieser Ansicht waren auch die vielen (…), die das HR-Battle mit Spannung verfolgt haben. In einer Abstimmung am Ende der Debatte zeigte sich, dass sich die überwältigende Mehrheit eine Alternative zum jährlichen Mitarbeitergespräch wünscht“.
Wie Mitarbeitergespräche doch noch Sinn machen können
Andererseits konnte eine Studie des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales einen positiven Zusammenhang zwischen der wahrgenommenen Arbeitsqualität und dem Durchführen von Mitarbeitergesprächen nachweisen.
Austauschkultur statt Gesprächszwang
Dabei gilt aber vielmehr: Begünstigt die Kultur eines Unternehmens den Austausch zwischen Mitarbeitern und Führungskräften, sind dessen Beschäftigte (die Führungskräfte eingeschlossen) zufriedener als in Unternehmen, bei denen kein Austausch stattfindet.
Es geht also darum, einen stetigen, konstruktiven Austausch auf der Basis von Vertrauen und Respekt nachhaltig zu fördern und nicht ein isoliertes, aufgezwungenes, strikt reglementiertes Gespräch zu führen, sondern die Unternehmenskultur zu verändern.
Feedbackkultur statt Jahresgespräche
Insbesondere die Unterscheidung zwischen Regel-Feedback, Anlass-Feedback und spontanem Feedback kann zur Etablierung der gewünschten Feedbackkultur beitragen.
- Mit Regel-Feedback sind die turnusgemäßen Mitarbeitergespräche gemeint.
- Anlass-Feedback bezieht sich auf bestimmte Situationen, wie bspw. einem Projektabschluss.
- Spontanes Feedback wird aus der Situation herausgegeben.
Der persönliche Kontakt zwischen Führungskraft und Mitarbeiter sollte in einer modernen Arbeitswelt nicht erst beim jährlichen Mitarbeitergespräch zustande kommen. Mitarbeitergespräche sollten von beiden Seiten, sowohl vom Mitarbeiter als auch vom Vorgesetzten jederzeit angestoßen werden können.
Die Internetseite Competencehouse.de stellt hierzu fest: „Sich nur einmal im Jahr mit Ihren Mitarbeitern zum Jahresendgespräch hinzusetzen, ist zu wenig! Bei diesen fünf Anlässen kann ein gut geführtes Mitarbeitergespräch wahre Wunder bewirken:
- Akute Themen
- Laufbahn- oder Karriereplanung
- Entwicklungsplanung
- Zielvereinbarung
- Zielerreichung“
Gelingensfaktoren unserer Gesprächskultur
Aufbauend auf meinen früheren Führungserfahrungen und dem misslungenen Versuch die Mitarbeitergespräche als effizientes Führungsinstrument einzuführen, habe ich einige Rückschlüsse gezogen. Noch immer ist nicht alles Gold was glänzt, aber wir arbeiten in der Kreishandwerkerschaft weiter daran, dass der Austausch zwischen den Mitarbeiterinnen unabhängig von den weiterhin vorhandenen Hierarchiestufen sich zum Wohle des Unternehmens weiter verbessert.
Insbesondere folgende Gelingensfaktoren haben wir dabei in den Fokus gerückt:
- Die Kultur der offenen Tür, die ich als Hauptgeschäftsführer vorlebe und auch von allen Führungskräften einfordere, spiegelt die Haltung wider, dass Kollegen jederzeit mit ihren Anliegen zu uns kommen können. Individuelle, anlassbezogene Gespräche können also von beiden Seiten angestoßen werden.
- Der regelmäßige Austausch mit Kollegen wurde als Führungsaufgabe auf Basis unserer Unternehmensvision und Leitbilder in unseren Grundsätzen der Teamarbeit definiert. Neben der klaren Definition von (Eigen-)Verantwortlichkeiten, stehen Dauerhaftigkeit, Qualitätsorientierung und Transparenz dort als Maßstäbe im Zentrum unseres Handelns. Diese Maßstäbe wirken somit auch auf das Führen von Mitarbeitergesprächen und verpflichten z. B. alle Kollegen zu regelmäßigen Weiterbildungen in Sachen Kommunikation.
- Eine teamorientierte und teamübergreifende Besprechungskultur dient dem Informationsaustausch und dem Vertrauensaufbau. Daraus ergibt sich dann ggf. eine Basis für individuelle Bewertungs- und Entwicklungsgespräche. Gleichzeitig haben wir ein formales Beschwerdemanagement eingeführt und als Struktur für kritische Situationen, in denen die Vertrauensbasis (noch) nicht gegeben ist, erarbeitet, ohne zwanghaft daran gebunden zu sein.
- Durch die Etablierung verschiedener Besprechungsformate – vor allem wöchentliche Führungsrunde, monatliche Meister- und Verwaltungsrunde, quartalsweise Mitarbeiterfrühstück, mehrere Mitarbeiterevents im Jahreslauf – ist es gelungen den allgemeinen Austausch von den individuellen Gesprächsbedarfen abzukoppeln. Gleichzeitig wird die Transparenz erhöht und der Austausch zum Teil des normalen Arbeitsalltags.
Fazit
Jährliche, isolierte, ungewollte und überstilisierte Mitarbeitergespräche sind reine Zeitverschwendung, da Sie weder dem Unternehmen, noch der Vorgesetzten oder dem Arbeitnehmer einen Mehrwert bringen. Mitarbeitergespräche scheitern also oftmals daran, dass
- beide Seiten das aufgezwungene Gespräch als unangenehm empfinden
- die Gespräche kein Feedback auf Augenhöhe, sondern ein asymmetrisches Beurteilungsgespräch sind
- auf beiden Seiten die Kompetenz fehlt, um die Gespräche richtig zu führen
- es sich um isolierte Gespräche dreht, die aufgrund fehlender Einbindung in eine Unternehmenskultur keine nachhaltige Wirkung erzielen können.
Andererseits können in eine Besprechungs- und Feedbackkultur eingebettete, kompetente, vertrauensvolle Gespräche zwischen Vorgesetzten und Mitarbeiter positive Entwicklungen auf Organisations- und individueller Ebene möglich machen.
Je selbstverständlicher es ist, dass die Menschen in einem Unternehmen miteinander sprechen, desto einfacher ist es, dort Mitarbeiterzufriedenheit als Voraussetzung für Unternehmenserfolg zu erreichen. Hierin liegt also das Führungsgeheimnis sinnvoller Mitarbeitergespräche: Schaffen Sie als Führungskraft eine Unternehmenskultur, die den Austausch fördert und gegenseitiges Vertrauen stärkt.
Wer sich aber als Chef hier auf „Standardlösungen“ für die Einführung und Umsetzung von Mitarbeitergesprächen etc. verlässt und keine Lösung sucht, die zum Unternehmen und den im jeweilige Unternehmen Tätigen passt, wird voraussichtlich enttäuscht werden. Auch deshalb bietet z. B. die Kreishandwerkerschaft Cloppenburg ihren Mitgliedsbetrieben Unterstützung bei der Etablierung einer Besprechungskultur und ergänzender Gesprächsformate an.
PS:
Eine etwas andere, spannende Sichtweise auf das Thema Mitarbeitergespräche liefert Maren Ulbrich aka Handwerksmensch in ihrer Podcast-Folge #40 „Wie Sie Wartungsintervalle für Ihre Mitarbeiter schaffen“ Hört doch auch mal rein.
Quellen:
- http://blog.reflect-beratung.de/strategische-personalentwicklung-mitarbeitergespraeche
- https://industrieanzeiger.industrie.de/management/weg-vom-muss-hin-zu-motivation-fuer-beide-seiten/
- http://www.bmas.de/SharedDocs/Downloads/DE/PDF-Publikationen/Forschungsberichte/forschungsbericht-fb-442-arbeitsqualitaet.pdf?__blob=publicationFile
- https://www.handwerk-cloppenburg.de/Ueber-uns/kreishandwerkschaft.php
- https://competencehouse.de/2016/01/jahresendgespraeche/
- http://blog.zukunft-personal.com/de/2016/04/27/brauchen-wir-noch-mitarbeitergespraeche/
Vielen Dank für den guten Artikel. In der Tat denke auch ich, dass das klassische Mitarbeitergespräch nicht mehr richtig funktioniert. Vor allem in Branchen und Bereichen, die der „digitalen Transformation“ ausgesetzt sind und in denen Entscheidungen zügiger getroffen und Projekte deutlich schneller justiert werden müssen.
Ich habe in meinem Blog drei Alternativen zum Jahresgespräch skizziert: 360 Grad-Feedback, Coachinggespräche oder die OKRs.
http://lars-inselmann.de/index.php/2019/10/05/alternativen-zum-jahresgespraech
Moin Lars, Danke für Dein Feedback. Magst Du mir verraten, was OKRs sind?