
Erfahre mehr über das Systems der Berufsbildungsberatung und die Gründe, warum dieses System bis heute im Handwerk nicht so erfolgreich ist, wie es sein müsste und könnte. Und warum die Community hier eine Lösung sein kann.
Warum ist Berufsbildungsberatung wichtig?
Bereits 2007 wurden in einer handwerksbezogenen Untersuchung u.a. folgende Faktoren des sozio-ökonomischen Wandels herausgestellt:
- zunehmend durch wissensrelevante und wissensintensive Faktoren geprägte Arbeitsanforderungen
- kurze Innovationszyklen und rasantes Entwicklungstempo der Informations- und Kommunikationstechnologien
- demografische Entwicklung und potenzieller Fachkräftemangel sowie Nachfolgerproblematik im Handwerk.
Diese Trends zeigen sich auch außerhalb des Handwerks und gehen mit tendenziell steigenden Anforderungen an die Gestaltung der individuellen Berufs- und Bildungskarrieren (Stichwort: Notwendigkeit zum Lernen im Lebenslauf) und der betrieblichen Fachkräftesicherung (Stichwort: Notwendigkeit zielgerichteter Personalentwicklungsstrategien) einher.
Insgesamt steigen also sowohl für einzelnen Personen als auch Unternehmen die Unsicherheiten und Intransparenz im Bereich der beruflichen Bildung und Beschäftigung.
Wie rasant und unvorhersehbar die Entwicklungen in einer globalisierten Welt und Wirtschaft verlaufen zeigen nicht nur die Finanzkrise Ende der 2000er Jahre sondern auch die aktuelle Corona-Pandemie und ihre dramatischen weltweiten Auswirkungen.
Sowohl das Berufsbildungs- als auch das Beschäftigungssystem mussten und müssen sich strategisch und operativ auf diese Veränderungen und die zunehmende Veränderungsgeschwindigkeit einstellen. Nicht zuletzt deshalb wird seit über 10 Jahren versucht, mit einer verstärkten und auch systematisch angepassten Berufsbildungsberatung zu reagieren.
Wie hat sich das System der Berufsbildungsberatung entwickelt?
Bis in die 1960er Jahre waren überwiegend psychologisch-fundierte Berufsbildungsberatungsansätze verbreitet, die in der Folge von sozialarbeitstheoretischen Ansätzen abgelöst wurden. Die Zuständigkeit für Berufsbildungsberatungsangebote lag i.d.R. beim Staat.
Die institutionalisierte, öffentliche Berufsberatung umfasste insbesondere berufliche Beratung von Arbeitnehmern in allen Phasen des Berufslebens sowie die Erteilung von Auskunft und Rat in allen Fragen der Berufswahl, des Berufswechsels und der beruflichen Entwicklung. Darüber hinaus richtete sich die Arbeitsmarktberatung mit den Themen Personalbeschaffung und -auswahl, Besetzung und Gestaltung von Arbeits- und Ausbildungsplätzen, Arbeitszeitgestaltung sowie Aus- und Weiterbildung an interessierte Arbeitgeber.
Aufgrund des sozio-ökonomischen Wandels sowie den Veränderungen der Arbeitsmarktpolitik fand Mitte der 1990er Jahre ein Umdenken statt. Die Bundesregierung beschloss den Wechsel zur Nachfrageorientierung in der berufsbezogenen Vermittlung und Beratung. Die o.g. grundlegenden Aufgaben der Berufsbildungsberatung haben sich dabei nicht wesentlich verändert. Neben der Bundesagentur für Arbeit können/müssen seither weitere Institutionen Berufsbildungsberatung auf dem Markt anbieten.
Und wie ist das System heute aufgestellt?
Seit den 2000er Jahren treten insbesondere öffentliche, private und gemeinnützige Anbieter, sonstige Verbände und Organisationen sowie regionale Netzwerke als Berufsbildungsberatungsinstitutionen auf, wobei die öffentlichen Träger dominieren.
Die Finanzierung der Berufsbildungsberatung in Deutschland erfolgt bislang in weiten Teilen durch den Staat und ist für den Nachfrager i.d.R. unentgeltlich. Dies hängt zum einen mit der fehlenden Zahlungsbereitschaft der Nachfrager und der Tradition der öffentlichen Finanzierung zusammen.
Berufsbildungsberatung wird heute überwiegend in einem Methodenmix durchgeführt, wobei gesprächsorientierte Methoden die zentrale Bedeutung haben. Die Rolle des Beraters im Beratungsprozess liegt dabei zwischen dem so genannten >unterstützenden Zuhörer< und dem >steuernden Erklärer< .
Gut drei Viertel der Beratungsinstitutionen verfügt über ausgewiesene Qualitätsstandards zum Input, Throughput und Output der Beratungsleistung. Diese sind oftmals an einem zertifizierten Qualitätssicherungssystem orientiert.
Die Ziele von Berufsbildungsberatung sind vielfältig. Dabei verschwimmen die Grenzen zwischen pädagogischen und wirtschaftlichen, zwischen bildungs- und arbeitsmarktpolitischen ebenso wie zwischen privaten und beruflichen Zielsetzungen.
Die Beratungsthemen und die darauf bezogenen Beratungsangebote sind ebenso vielfältig. Sie stehen oftmals im Zusammenhang mit den beruflichen Übergangsphasen und können grob hinsichtlich der Berufsorientierung, Ausbildungsberatung und Weiterbildungsberatung eingeteilt werden.
Die Qualifizierungswege der Berufsbildungsberater sind unterschiedlich. Sowohl akademische als auch berufliche Qualifizierungen sind vorhanden und werden genutzt. Viele Berater bilden sich regelmäßig fort. Dennoch ergeben sich insbesondere hinsichtlich der Strukturierung und des Praxisbezuges der Qualifizierung Defizite.

Schon alleine diese Ausführungen machen deutlich, dass Berufsbildungsberatung häufig an der Komplexität des Themas, den Unklarheiten der Ziele und Rahmenbedingungen und der mangelnden Fokussierung in der Umsetzung gescheitert ist und bis heute scheitert.
Dr. Michael Hoffschroer
Und was kennzeichnet die Berufsbildungsberatung im Handwerk?
Die bisherigen Ausführungen treffen in weiten Teilen auch heute noch auf die Berufsbildungsberatung im Handwerk zu. Diese wird darüber hinaus aber durch die handwerksspezifischen Rahmenbedingungen und Anforderungen geprägt.
D. h. Berufsbildungsberatung im Handwerk wird i.d.R. mit dem Ausbildungsberatungs- und Lehrlingswartesystem in Verbindung gebracht. Daneben sind aber weitere Berufsbildungsberater im Handwerk aktiv (Weiterbildungsberater der Handwerkskammern, Berater der handwerklichen Bildungszentren, spezielle Berufsberater der BA, Beratungslehrer an Schulen etc.). Diese beraten aber i.d.R. nicht exklusiv die Arbeitnehmer und Arbeitgeber des Handwerks.
Die Situation der Berufsbildungsberatung im Handwerk ist weiterhin durch eine erhebliche Überlastung (geringe personelle Ressourcen; weitreichende regionale, gewerbebezogene Zuständigkeit; Belastung mit Zusatzaufgaben; zum Teil ehrenamtliche Tätigkeit u.a.) und teilweise niedrige Professionalität (unklare Zuständigkeiten, Überschneidungen der Aufgabenbereiche, geringe Vernetzung mit externen Akteuren, Kompetenzdefizite der Berater, unsystematische Einarbeitung, Zusatzbelastung durch beratungsfremde Leistungen, geringe Identifizierung der Berater mit ihrer Aufgabe etc.) geprägt.
Nicht zuletzt aufgrund dieser Defizite, die die grundsätzlichen Probleme des Systems der Berufsbildungsberatung noch verstärken, beschränkt sich Berufsbildungsberatung im Handwerk häufig auf die Vermittlung von Informationen und erfüllt die Qualitätsansprüche einer professionellen oder integrierten Beratung nur bedingt.
Dr. Michael Hoffschroer
Und was nun?
Darüber hinaus gab es bis vor gut zehn Jahren kein fundiertes Konzept einer handwerksorientierten Berufsbildungsberatung. Erst durch meine Dissertation zu diesem Thema wurde diese Lücke gefüllt.
Wie ich bereits in meinem Blog-Beitrag „Warum Berufsbildungsberatung und handwerkliche Bildungsstätten eine ideale Kombination sind!“ dargestellt habe, setzen wir dies Konzept seit rund zehn Jahren erfolgreich um.
In den letzten Monaten ist aber eine weitere wichtige Komponente hinzu getreten, die ich so zu Zeiten meiner Dissertation nicht habe kommen sehen:
Die Macht der Community
Gerade aktuelle Graswurzel-Initiativen, wie die Aktionen #lustaufhandwerk oder #dasbesteamhandwerk, aber auch eher kommerzielle Ansätze wie das CraftCamp – wir sind besser, die Plattform Check and Work oder auch Personen, wie Jörg Mosler, die mit ihren Podcast, Büchern und Vorträgen die Aufmerksamkeit auf das Handwerk lenken, entfalten langsam Wirkung.
Aufbauend auf die Imagekampagne des Deutsche Handwerk, die ihre Wirkung meines Erachtens nach vor allem in der Politik und im vorpolitischen Raum entfaltet hat, gelingt es heute mit Hilfe der sozialen Medien und Netze, engagierte Handwerkerinnen und Handwerker zusammenzubringen. Und ihnen damit die Gelegenheit zugeben, eine breitere Öffentlichkeit zu erreichen. Für einige spannende Beispiele schau gern in meinen beiden Blog-Beiträgen vorbei;
- Instagram – warum und wie Handwerker dort aktiv sein sollten
- Handwerkscast – welche Podcast Du unbedingt hören solltest
Gleichzeitig starten immer mehr Handwerksorganisationen Aktivitäten, die sich an Schulen, Eltern und andere Stakeholder des Berufsfindungsprozesses wenden und verzahnen diese über die Organisationsstrukturen oder das Internet miteinander.
Die Community von Handwerkerinnen und Handwerkern, die hier mit einem modernen, auf die Wünsche einer neuen Generation und die Erfordernisse eines typischen Handwerksbetriebes ausgerichteten Mindsets an den Start gehen wächst weiter.
Diese Power überträgt sich auf die breite Öffentlichkeit und bildet damit eine neue Plattform der Berufsbildungsberatung im Handwerk – und zwar auf einem Attraktivitäsniveau, von dem ich vor zehn Jahren bei der Enwtcklung meines Konzeptes nicht zu träumen gewagt hätte.
Bitte lasst uns in dieser Community weiter daran arbeiten, den Weg für eine gute Zukunft des Handwerks zu ebnen. Gerade die aktuelle Situation zeigt, warum die Gesellschaft ein starkes Handwerk braucht und wieso das Handwerk es wert ist, dass wir uns für diesen tollsten Wirtschaftsbereich der Welt engagieren.
Dr. Michael Hoffschroer