Erfahre welche Funktionen die überbetriebliche Ausbildung im Handwerk hat, vor welchen Herausforderungen sie steht und was zu tun ist, um auch in Zukunft hochwertige Ausbildung umsetzen zu können.
Als Mitarbeiter beim Forschungsinstitut für Berufsbildung im Handwerk an der Universität zu Köln (FBH) habe ich mich Ende der 1990er – Mitte der 2000er Jahre intensiv mit den bildungstheoretischen Hintergründen und Begründungen der überbetrieblichen Lehrlingsunterweisung (ÜLU) in den handwerklichen Bildungszentren befasst.
Ein kurzer Blick zurück
In diese Zeit fiel auch die Deregulierung der Handwerksordnung, die unter anderem mit dem Wegfall der Meisterpflicht in zahlreichen Handwerken einherging.
Unsere bildungstheoretische und auch bildungspolitische Antwort beim FBH darauf hatte insbesondere zwei Bausteine:
- Neustrukturierung des Meisterprüfungsberufsbildes hin zu einer Unternehmerqualifizierung
- Die funktionale und systematische Begründung der überbetrieblichen Lehrlingsunterweisung
Seinerzeit haben wir die ÜLU als Brücke definiert. Brücke zwischen einer betrieblichen und beruflichen Qualifizierung, Brücke zwischen den Lernorten Berufsschule und Betrieb, Brücke zwischen Lernen in pädagogischen Strukturen und am Kundenauftrag, Brücke zwischen Innovation und Praxis.
Dr. Michael Hoffschroer
Und egal, ob heute von ÜLU oder von überbetrieblicher Ausbildung (ÜBA) und überbetrieblicher Unterweisung gesprochen wird, dieser Bestandteil des dualen Ausbildungssystems ist und bleibt wichtig.
Einordnung des ZDH
Heute formuliert der Zentralverband des Deutschen Handwerks zur Einordnung der ÜLU folgendes:
„Die überbetriebliche Unterweisung bietet hier eine Ergänzungsfunktion zur Erfüllung der Anforderungen der Ausbildungsordnungen und gewährleistet den Erwerb einzelbetriebsübergreifender fachlicher Qualifikationen. (…)
Über diese Ergänzungsfunktion hinaus ist ein wesentlicher Auftrag der überbetrieblichen Maßnahmen die Vertiefung sowie die Systematisierung und Pädagogisierung der betrieblichen Ausbildung. Sie nimmt im Rahmen einer Lernortkooperation eine zentrale Position ein (…).
Durch neue pädagogische Ansätze und das Zusammenführen berufsschulischer und betrieblicher Lernerfahrung fernab des prozess- und dienstleistungsorientierten Arbeitens wird die berufliche Handlungskompetenz als Fach-, Methoden- und Sozialkompetenz gefördert. Damit legt die überbetriebliche Unterweisung die Grundlage für selbstgesteuertes Lernen. Indem sie die Vermittlung dieser Handlungskompetenz, die angesichts wachsender Anforderungen an die Fachkräfte im Handwerk an Bedeutung gewinnt, entscheidend unterstützen, erhalten die überbetrieblichen Maßnahmen in der Erstausbildung einen besonderen Stellenwert und sind ein entscheidender Faktor für die Qualität der beruflichen Qualifizierung.“
An anderer Stelle formuliert der ZDH, das die fast 600 handwerklichen Bildungszentren, in denen die ÜLU bundesweit durchgeführt wird, gelebter Technologie- und Wissentransfer sind, in dem der Berufsnachwuchs dort eine ganzheitliche Erstausbildung auf neustem Stand der Technik erfährt.
Der Blick in die Praxis
Als Hauptgeschäftsführer der Kreishandwerkerschaft Cloppenburg bin ich heute verantwortlich für eins dieser 600 Bildungszentren. Wir unterweisen in ca. 250 Maßnahmen jährlich rund 2.500 Auszubildende in mehr als 10 unterschiedlichen Handwerksberufen. Dafür setzen wir aktuell 12 festangestellte Ausbildungsmeisterinnen und Ausbildungsmeister und diverse Ausbilder auf Honorarbasis ein.
Unser Bildungszentrum liegt mitten in der Kreisstadt Cloppenburg umfasst auf ca. 10.000qm Gelände Gebäudeflächen von rund 6.000qm. Die Werkstätten wurden Ende der 1970er Jahre errichtet und laufend bauliche und austattungsbezogen modernisiert. In den letzten 10 Jahren wurde dazu mit Förderung des Bundes und des Landes, sowie erheblichen Eigenanteilen der Kreishandwerkerschaft Cloppenburg mehrere Millionen Euro investiert. Die Durchführung der Maßnahmen wird ebenfalls von Bund und Land gefördert. Den wesentlichen Teile der laufenden Finanzierung bringen aber die Ausbildungsbetrieb des Handwerk durch entsprechende Gebühren auf.
ÜLU – quo vadis
Aus dieser kurzen Darstellung ergeben sich schon ganz elementare Herausforderungen für die Zukunft der überbetrieblichen Bildungszentren und damit für die überbetriebliche Lehrlingsunterweisung. Drei wesentliche Aspekte will ich hier kurz und ohne den Anspruch auf Vollständigkeit beleuchten:
Finanzierung der baulichen Infrastruktur
Ein Großteil der handwerklichen Bildungszentren ist in den 1980er und 1990er Jahren gebaut worden. Trotz laufender Modernisierung stößt unsere Einrichtungen – und dies dürfte vielen anderen Bildungszentren ähnlich gehen – hier inzwischen an Grenzen, die eine Nutzung grundsätzlich in Frage stellen. So sind z. B. die energetische Modernisierung, die Modernisierung der Netzwerkinfrastruktur oder die Anpassung der Räume an die Anforderungen moderner Lehr-Lern-Umgebungen nur mit erheblichem Kosten oder Qualitätseinbußen im Gebäudebestand umzusetzen.
Diese Kosten können und dürfen nicht durch höhere Gebühren von den Bildungszentren erwirtschaftet werden. Auch die Ausbildungsbetriebe dürften hier nicht noch weiter belastet werden.
Und auch wenn in den letzten Jahren verschiedene Sonderförderungen insbesondere auf Bundesebene, z. B. zur Finanzierung der digitalen Ausstattung aufgelegt wurden, ist die Förderung der baulichen Infrastruktur chronisch unterfinanziert. Hinzu kommt, dass Förderverfahren mit enormen bürokratischen Hürden versehen sind, die auch zu zeitlichen Verzögerungen bei der Umsetzung notwendiger Modernisierungen führen.
Damit wird es für die Bildungszentren immer schwieriger eine attraktive Lehr-Lernumgebung zu bieten. Dies wiederum trägt zum so genannten „acadamic drift“ bei, also zum Abwandern potentielle Auszubildender in das akademische Bildungssystem, das ungleich besser mit staatlichen Mitteln gefördert wird.
Finanzierung der sachlichen Ausstattung
Eine ähnliche Situation erleben wir auch beim Blick auf die Finanzierung der sachlichen Ausstattung.
Hinzu kommt hier aber, dass durch eine immer stärkere Technologisierung des Handwerks und die Beschleunigung technischer Innovationszyklen, die Probleme noch deutlich akuter sind.
Während man in einem 40 Jahre alten Gebäude noch irgendwie klar kommt, macht die Unterweisung an einem Maschinenpark der im Schnitt älter als ein paar Jahre ist keinen Sinn.
Dr. Micahel Hoffschroer
Allein unser Bildungszentrum verfügt inzwischen über weit mehr als 100 Computer, Laptops, Tablets etc. die in der Ausbildung eingesetzt werden und die wir (eigentlich) alle zwei bis drei Jahre komplett austauschen müssten. Ganz abgesehen von CNC-Maschinen u. ä. die heute auch nur noch ein paar Jahre dem Stand der Technik entsprechen von uns – wenn überhaupt aber nur in Jahrzehnten – refinanziert werden können.
Und auch hier sehe ich keine Chance, unsere Ausbildungsbetriebe, die mit ihrem Engagement ja schon gesellschaftliche Verantwortung übernehmen, finanziell noch stärker zu belastet. Somit ist auch hier der Staat gefordert, die oftmals beschworene Gleichwertigkeit beruflicher und akademischer Bildung in die Tat umzussetzen.
Erhalt der betrieblichen Ausbildungsfähigkeit und -bereitschaft
Die überbetriebliche Lehrlingsunterweisung leistet nicht nur theoretisch sondern ganz praktisch einen wesentlichen Beitrag dazu, dass das duale Ausbildungssystem in Deutschland die positive Wirkung entfaltet, die wir z. B. an der geringen Jugendarbeitslosigkeit ablesen können.
Gleichzeitig stellen wir fest, dass viele Ausbildungsbetriebe ihr Ausbildungspotential nicht voll ausschöpfen. Wesentlicher Grund, der uns hierzu immer wieder genannt wird, ist der enorme finanzielle und personelle Aufwand, der mit einer Ausbildung einhergeht.
Damit steht auch die ÜLU immer wieder in der Kritik
- Ausbildungskosten zu verursachen
- produktive Zeiten der Auszubildende im Betrieb zu reduzieren.
Von den Ausbildungsbetrieben wird dabei aber ganz überwiegend anerkannt, dass die von uns im FBH und auch vom ZDH benannten positiven Funktionen der ÜLU wahrgenommen werden. Dennoch stehen wir – und das ist gut so – immer im Rechtfertigungsdruck gegenüber den Ausbildungsbetrieben.
Sollte Politik, diesen Druck, z. B. durch eine weiterhin systematische und strukturelle Unterfinanzierung der Ausbildungszentren, durch eine weiterhin überbordente Bürokratiebelastung der Bildungsstätten, Ausbildungsbetriebe und Auszubildene oder durch die erkennbare Tendenz der Zentralisierung von Bildungszentren und damit verbundenen erhöhten Reisekosten erhöhen, bleibt abzuwarten, ob das bisher gut funktionierende System auf Dauer zu erhalten ist.
Was ist zu tun
Vor diesem Hintergund habe ich mich gefreut, in einem ZDH-kompakt folgende Forderungen zu lesen und schließe mich ausdrücklich an:
„Um den Stellenwert der Dualen Ausbildung – wie nicht zuletzt im Koalitionsvertrag zugesagt – zu stärken und die Gleichwertigkeit von beruflicher und akademischer Bildung auch zu leben, müssen die handwerklichen Ausbildungsbetriebe nachhaltig von den Kosten der Ausbildung entlastet werden. Bund und Länder müssen ihre Möglichkeiten ausschöpfen und sich bis zu einem Drittel an den Ist-Kosten der ÜLU beteiligen.
Neben der dafür notwendigen Aufstockung der ÜLU-Zuschüsse ist eine regelmäßige Anpassung an die Kostenentwicklung bei Personal,
Material und Gemeinkosten erforderlich. Ferner müssen auch die Zuschüsse für die auswärtige Unterbringung von Lehrlingen spürbar erhöht und ausreichend Wohnkapazitäten geschaffen sowie den Auszubildenden Azubi-Tickets kostenfrei zur Verfügung gestellt werden, um zu den Standorten der Bildungszentren und der Berufsschule zu gelangen. Aktuell und in der Zukunft muss alles vermieden werden, was ausbildende Betriebe über Gebühr belastet.
Um der oft betonten Gleichwertigkeit von beruflicher und akademischer Bildung Gestalt zu geben, müssen die Ausbildungsanstrengungen der Betriebe nachhaltiger unterstützt und gefördert werden – zumal die akademische Ausbildung fast gänzlich von der Gesellschaft getragen wird. Ziel muss es sein, die Attraktivität der beruflichen Bildung ebenso zu fördern. Denn die berufliche Ausbildung legt den Grundstein für den Erfolg der deutschen Volkswirtschaft im weltweiten Wettbewerb – die Überbetriebliche Lehrlingsunterweisung ist systemrelevant und verdient mehr Wertschätzung, auch finanziell.“
Ergänzen würde ich diese Forderungen an die Politik um spürbare Bürokratieentlastungen und eine deutliche Aufstockung der Mittel zur sachlichen und baulichen Ausstattung der Bildungszentren. Sowie eine Verbesserung der Refinanzierungsmöglichkeiten der einzustzenden Eigenmittel für die Träger der Bildungszentren.
Dr. Michael Hoffschroer
Im System der handwerklichen Bildungszentren selber wünsche ich mir auch im Sinne eines ressourceneffizienten Einsatzes eine noch stärkere Vernetzung. Davon sollten insbesondere kleine, leistungsfähige Bildungszentren profitieren. Es kann dabei also nicht in erster Linie um Standortfragen gehen, sondern vielmehr um die Erschließung von Prozess- und Verfahrenssynergien.
Weiterführende Informationen zur ÜLU
- Empfehlung des BiBB-Hauptausschusses für die Gestaltung und Durchführung von Ausbildungsmaßnahmen in überbetrieblichen Berufsbildungsstätten
- Übersicht über Lehrgänge und Unterweisungspläne der Überbetrieblichen Ausbildung
- Informationen der Kreishandwerkerschaft Cloppenburg zur ÜLU