Ok, ich gebe zu, ganz unvoreingenommen bin ich als Hauptgeschäftsführer der Kreishandwerkerschaft Cloppenburg bei dem Thema nicht. Aber meine ehrliche Meinung ist, das Kreishandwerkschaften das Herz, der Kern, der wichtigste Teil der Handwerksorganisation sind und die Leitung einer Kreishandwerkerschaft damit die Königsdisziplin innerhalb der verschiedenen Handwerksorganisationen ist. Im Folgenden werde ich Euch erklären, wie ich zu dieser Auffassung gekommen bin.
Ich weiß, wovon ich schreibe
Wie einige von Euch ggf. schon wissen, bin ich persönlich seit 1982 eng mit der Handwerksorganisation verbunden. Zu diesem Zeitpunkt übernahm mein Vater die Geschäftsführung der Kreishandwerkerschaft Lingen und entwickelte diese im Laufe seiner Amtszeit zu einer der wirtschaftlich und handwerkspolitisch erfolgreichsten Einrichtungen des Handwerks in Niedersachsen.
Für mich war es von da an eine Selbstverständlichkeit, dass ich Papa bei der Arbeit immer wieder einmal begleitet, im Büro oder bei der Vorbereitung von Veranstaltungen unterstützt habe. Besonders in Erinnerung geblieben sind mir dabei die Termine mit Ehrenamtsträgern, in den Handwerksunternehmen oder auch Gespräche und Veranstaltungen mit Politikern.
Als ich dann im Studium ab 1996 selbst die Möglichkeit hatte, zunächst als Studentische Hilfskraft beim Forschungsinstitut für Berufsbildung im Handwerk an der Universität zu Köln einzusteigen, tat ich dies in dem Bewusstsein, dass ich zwar kein Handwerker im klassischen Sinne sein werden, aber mit meinen Möglichkeiten zur Entwicklung eines Wirtschaft- und Gesellschaftsbereich beitragen könnte, der mir sehr nahe steht.
Diskussionen in der Familie
Über einige Jahre wirkte mein Vater dann in der Kreishandwerkerschaft Lingen, während ich von Köln und später von Berlin aus (als Referent in der Abteilung Berufsbildung des Zentralverbands des Deutschen Handwerks), eng mit Kammern und Verbänden auf Bundesebene zusammenarbeitete.
Auch mein Bruder Heiner stieg zu dieser Zeit als Geschäftsführer des Bildungswerks des Lingener Handwerks beruflich in die Handwerksorganisation ein. Zahlreiche Familienabende wurden daraufhin gefüllt mit Diskussionen, an welcher Stelle die wirklich wichtige Arbeit in der Handwerksorganisation geleistet wird. Auf kommunaler, Landes- oder Bundesebene? Bei den Innungen, Kreishandwerkerschaften, Fachverbänden oder Handwerkskammern?
Einen Konsens haben wir seinerzeit nicht erreicht, denn viel zu oft hatten meine Arbeitsaufgaben auf Bundesebene zwar hohe handwerkspolitische aber zugegebenermaßen wenig betriebspraktische Bedeutung. Andererseits verstrickten sich Papa und Heiner sooft im Klein-Klein lokaler Interessen, dass ihre Sicht nicht immer die Weiterentwicklung des Gesamthandwerks fokussierte.
Wenn ich z. B. davon schwärmte, dass ich bei der Formulierung des Deutschen und Europäischen Qualifikationsrahmens (DQR/EQR) viel für die Gleichwertigkeit akademischer und beruflicher Bildung erreicht hatte, wurde mir zu Hause gesagt, dass man noch nie vom DQR/EQR gehört habe.
Andererseits machte meine Familie mir auch immer wieder klar, dass die Diskussionen über Inhalte und Formulierungen in den Ausbildungsordnungen akademisch wären, die die betrieblichen Realitäten nicht ausreichend abbilden würden. Und oft halfen gerade die weniger politischen sondern ganz persönlichen Dinge, die die beiden im Kontakt zu den Handwerkern taten, dabei, dem einen oder anderen Handwerksunternehmen aus einer akuten Problemlage herauszuhelfen.
Den Blick über den Tellerrand wagen
Was ich aus diesen familiären Diskussionen mitgenommen habe: Die Vielfalt des Handwerks erfordert den Blick über den Tellerrand und idealerweise das Zusammenspiel aller Ebenen der Handwerksorganisation.
Von Bundes- und Regionalligisten
Und auch wenn zunächst persönliche Gründe bei mir dazu führten, dass ich von Berlin nach Cloppenburg, vom ZDH zur Kreishandwerkerschaft, vom Deutschen Handwerkskammertag in die Innungen wechselte, prägte diese Erkenntnis nicht nur meinen damaligen Entschluss, sondern auch mein heutiges Wirken.
Seinerzeit habe ich formuliert, dass ich von der Ersatzbank der Bundesliga nun auf den Spielführerposten in der Regionalliga wechseln würde. Ein Bild, dass für mich bis heute trägt, das ich aber an zwei Punkten nachschärfen würde:
- Wichtig ist mir, dass mein Wechsel innerhalb eines Vereins stattgefunden hat. Also nicht – sagen wir – vom VfB Stuttgart zu den Stuttgarter Kickers, sondern eher aus der Profimannschaft in die U23. Der Wettbewerb sollte nicht zwischen den Handwerksorganisationen ausgetragen werden, sondern im Verhältnis zu Institutionen außerhalb unserer Wirtschaftsmacht. Von nebenan.
- Außerdem muss betont werden, dass Bundesliga und Regionalliga für mich nicht in erster Linie ein Qualitätsunterschied ausdrücken, sondern vielmehr einen Unterschied in der öffentlichen Aufmerksamkeit. Ob in der Bundesliga oder der Regionalliga der „bessere“ – ehrlichere Fußball gespielt wird, will ich also damit gar nicht entscheiden.
Das Herz, der Kern, der wichtigste Teil der Handwerksorganisation
Nach nunmehr gut neun Jahren in der Regionalliga erinnere ich mich zurück an die Diskussionen mit meinem Vater und meinem Bruder. Und komme zu einem eindeutigen Ergebnis. Noch immer gilt, dass keine Teilorganisation die Vielfalt des Handwerks alleine abbilden kann. Aber!
Kundennähe und Gesamtvertretungsanspruch
Die Kreishandwerkerschaften sind als lokale Organisationen gemeinsam mit den Innungen definitiv am dichtesten von allen Teilorganisationen des Handwerks an den Betrieben dran.
Als freiwillige Organisation sind Kreishandwerkerschaften darüber hinaus gezwungen, sich dicht an den Wünschen der Handwerksbetriebe zu orientieren, um wirtschaftlich erfolgreich sein zu können.
Die Kreishandwerkerschaften sind mehr Unternehmen als Behörde und auch insofern eng bei denen, für die wir das Ganze hier veranstalten. Unserer Handwerksunternehmen
Dr. Michael Hoffschroer
Bündelung von Interessen und Brückenfunktion
Die Kreishandwerkerschaften müssen gleichzeitig als Träger öffentlicher Belange, hoheitliche und handwerksrechtliche Pflichten übernehmen, z. B. im Prüfungswesen oder bei der Ausbildungsberatung.
Als Zusammenschluss der Innungen und Vertretung des Gesamthandwerk setzen sich Kreishandwerkschaften sowohl für fachliche als auch überfachliche, sowohl für mitglieder- als auch nicht-mitglieder-geprägte Interessen ein. Als Bindeglied zwischen Innungen und Handwerkskammern sind Kreishandwerkerschaften beiden Strängen der Handwerksorganisation verpflichtet.
Die Kreishandwerkerschaften streben in dieser vielfachen Brückenfunktion zum Konsens zumindest zum Kompromiss oder Interessensausgleich.
Dr. Michael Hoffschroer
Erzwungene Ineffizienten
Leider wird diese besondere Stellung der Kreishandwerkerschaften und das damit verbundene Wissen über die Erwartungen der Handwerksunternehmen innerhalb der Organisationskette des Handwerk – egal ob in der freiwilligen oder der verpflichtenden Schiene – viel zu wenig genutzt.
Wie kann es z. B. immer noch sein, dass die Kreishandwerkerschaften nicht offiziell Mitglied beim Zentralverband des Deutschen Handwerks sind?
Wieso verhindern insbesondere die Fachverbände dies und behindern damit eine effizientere Wahrnehmung von Aufgaben im Interesse unsrer Handwerksunternehmen?
Dr. Michael Hoffschroer
Bindeglied und Partner
Die Kreishandwerkerschaften – zumindest im Nordwesten Deutschlands – sind in der Regel mittelgroße Unternehmen (mit 5 – 50 Mitarbeitern).
Sie halten quasi als Stabstellen der Mitglieder vor Ort Dienstleistungen vor, die kleinen und mittelständische Unternehmen wirtschaftlich nicht eigenständig umsetzen können (Rechtsberatung, Steuerberatung, Inkasso, Personalberatung, fachtechnische Beratungen).
Für übergeordnete Fragestellungen arbeiten Sie dabei in der Regel mit den Landes- und Bundesinnungsverbänden zusammen.
Viele Kreishandwerkerschaften verfügen neben der Innungsbetreuung über weitere Standbeine (z. B. Bildungseinrichtungen, Arbeitsmedizinische und -sicherheitstechnische Dienstleister, Personalvermittlungsagenturen, Unternehmensberatungsagenturen, Projektgesellschaften), und befriedigen damit direkt Bedürfnisse der Mitglieder.
Kreishandwerkerschaften oder angegliederte Gesellschaften sind dann häufig selbst auch als KMU am Markt tätig und können insofern die Kundenprobleme sehr gut nachvollziehen. Nicht zuletzt durch diese Gemeinsamkeit verstehen sich Kreishandwerkerschaften als Partner der Handwerker und können dies auch glaubhaft vermitteln.
Entlang der Organisationskette sind die Kreishandwerkerschaften und Innungen insofern das effiziente Bindeglied zwischen lokalen Betriebsinteressen und übergreifender Handwerkspolitik.
Dr. Michael Hoffschroer
Kreishandwerkerschaften: unverzichtbar
Zu Recht erwarten unsere organisierten Handwerksbetriebe dabei, dass wir nicht nur in den Kreishandwerkerschaften, sondern auch in Innungen, Handwerkskammern, Landes- und Bundesinnungsverbänden sowie den weiteren Handwerksorganisationen
- kunden-/mitgliedernah agieren,
- fach-, rechts- und bildungskompetent sind,
- politisches Gewicht in die Debatte einbringen,
- Doppelstrukturen vermeiden und
- eine ausreichend hohe Anpassungsgeschwindigkeit an die sich verändernde Rahmenbedingungen gewährleisten.
Und wie ich in diesem Blog-Beitrag hoffentlich aufzeigen konnte, sind die Kreishandwerkerschaften zur Erfüllung der Qualitätsmerkmale unverzichtbar.
Dr. Michael Hoffschroer
Königsdisziplin Kreishandwerkerschaft
Gemeinsam, im Team von Ehren- und Hauptamt, vertreten der Kreishandwerksmeister und der Geschäftsführer die Kreishandwerkerschaft. Die Arbeit in den Kreishandwerkerschaften ist geprägt
- von der Vielfalt der Aufgaben im Spannungsfeld verschiedener Innungen,
- von hohen Kundenansprüche dank freiwillige Mitgliedschaft der Betriebe in den Innungen,
- vom Spannungsfeld zwischen hoheitlichen Leistungen und Kundenorientierung,
- vom Organisationsverständnis als Körperschaft/Behörde bzw. KMU-Unternehmen/Dienstleistungsgesellschaft,
- von den Herausforderungen kleiner und mittelgroßer Unternehmensstrukturen,
- von der Erwartung an die regionale Umsetzung handwerkspolitischer Entscheidungen bei Wahrung der überregionalen Verantwortlichkeit,
- vom Ausgleich der Praxiserwartung in den Handwerksunternehmen und den Debatten innerhalb der Organisationskette bzw. mit den handwerkspolitischen Gremien.
Die Vielfalt der Erwartungen, die Komplexität der Rahmenbedingungen und die besondere Brückenfunktion der Kreishandwerkerschaften machen die Führung dieser Organisation damit zur Königsdisziplin innerhalb des organisierten Handwerks.
Mein Fazit
Ich jedenfalls kann mir keinen andere Position in der Handwerksorganisation vorstellen, die so abwechslungsreich, befriedigend, zukunftsweisend, kundennah, komplex und auf eine positive Art anstrengend ist.
Ich freue mich jetzt schon darauf, im Zusammenwirken mit weiteren agilen Kreishandwerksmeistern und Geschäftsführerkollegen, mit innovativen Mitgliedsbetrieben und motivierten Kollegen, den Herausforderungen der Zukunft positiv zu begegnen. Insbesondere die digitale, demografische und globalisierte Transformation der Wirtschaft, die dem vorausgehende oder auch damit einhergehende Veränderung der Gesellschaft werden wir im Handwerk hoffentlich positiv mitgestalten.
Ganz nach dem Motto: