Wie Zusammenhalt Berge versetzen kann
Warum reist man für eine Woche aus dem winterlichen Oldenburger Münsterland ins sommerliche Kapstadt, Südafrika?
Es gibt sicherlich viele gute Gründe aber uns interessierten diesmal vor allem die Projekte des Freundeskreises Wakkerstroom e. V.
Auf Initiative meines Lions-Freundes Dr. Clemens Schwerdtfeger haben wir uns Ende Februar 2019 auf den Weg gemacht, um uns vor Ort ein Bild davon zu machen, was auch mit starker Unterstützung aus unserer Region in und um Kapstadt ins Leben gerufen werden konnte.
In einer dreiteiligen Blog-Serie werde ich Euch berichten über
- meine Erwartungen, die ich mit der Reise verbunden habe und wie ich zum Opfer meiner Vorurteile wurde
- über unsere Besuche in den Townships rund um Kapstadt und welchen tollen Menschen wir dort begegnet sind
- über die Wunder-Schule, eine Berufsbildungsprojekt im ländlichen Robertson, von dem wir in Deutschland einiges lernen können.
Unsere Zeit in und um Robertson
Die zweite Hälfte unsere Reise nach Südafrika verbrachten wir in und um Robertson, einer Kleinstadt ca. 160 km westlich von Kapstadt. Hier unterstützt der Freundeskreis Wakkerstroom einige weitere Bildungsprojekte von denen wir uns vor Ort einen Eindruck machen wollten und konnten.
Robertson ist eine Stadt mit rund 30.000 überwiegend farbigen Einwohnern. Die wichtigsten Einnahmenquellen sind die Landwirtschaft, insbesondere der Weinbau, und zunehmend auch der Tourismus.
Unsere großartige Unterkunft, das Galloway Guest House, lag ein paar Kilometer außerhalb des Ortes am Fuße der Langeberg Mountains.
Von hier brachen wir am Donnerstagmorgen nach einer sternenklaren Nacht, in der ich zum ersten Mal die Milchstraße fotografieren konnte, zu einem Besuch einer der regionalen Farmschulen auf. In diesen Schulen erhalten die meist farbigen Kinder aus Farmarbeiter-Familien eine grundlegende Schulausbildung von der Vorschule bis maximal zur Klasse 9.
Bericht aus einer Farmschule
Bei den Gesprächen ging es vor allem darum, ob der Freundeskreis sein bisheriges Engagement für die Wakkerstroom Wes Farmschule ausweitet und ggf. auch andere Farmschulen entsprechend unterstützt. Vor allem dreht es sich um Stipendien für Schülerinnen und Schüler, um diese bei dem Besuch einer weiterführenden Schule zu unterstützen. Darüber hinaus ist aber auch die Verbesserung der schulischen Infrastruktur und damit der Lehr-Lernumgebung in den Farmschulen ein Ziel.
Die Gespräche mit der Schulleiterin und einigen Lehrkräften hinterließen hier einen tiefen Eindruck bei mir, denn ich merkte, mit wieviel Herzblut hier vor Ort an einer besseren Zukunft der Schülerinnen und Schüler gearbeitet wird.
Dieser Eindruck verstärkte sich noch als wir erfuhren, dass viele der Kinder unter dem fetalen Alkoholsyndrom (FAS) leiden. Denn auch wenn die Umgebung hier auf den ersten Blick nicht mit denen in den Townships rund um Kapstadt vergleichbar zu sein schienen, bleibt wohl festzuhalten, dass die sozialen Unterschiede auch als Folgen der Apartheid hier im ländlichen Südafrika nicht minder zu spüren sind.
Andererseits zeigen die Erfahrungen, dass mit einer gezielten Unterstützung der Kinder viel Positives erreicht werden kann. Immer mehr Schülerinnen und Schüler schaffen den Übergang an eine Highschool und später sogar an die Universität oder ein Collage.
Mit ihrem aufmerksamen Lächeln zeigten viele Schülerinnen und Schüler bei unserem Besuch nicht nur höfliche Sympathie sondern auch einen großen Wissensdurst. Vielleicht auch, weil sie von den Erfolgsgeschichten ihrer Vorgängerinnen und Vorgänger gehört hatten.
In mir jedenfalls fiel beim Blick in die Klassenräume, die mich etwas an meine eigene Grundschulzeit in den späten 1970er und frühen 1980er Jahren erinnerte, der Entschluss den Freundeskreis Wakkerstroom nicht nur bei dem Berufsbildungsprojekt zu unterstützen. Auch diese ganz besondere Atmosphäre unter den Schülern von offener Neugier, von Wissensdurst und Verspieltheit, von Respekt und Bewunderung gegenüber den Erwachsenen erinnerte mich an meine frühen Schuljahre. Die Erinnerung weckte in mir die Hoffnung, dass auch Südafrika in Zukunft in der Lage sein wird, die Bildungsversprechen, die Deutschland seiner Bevölkerung in den 1970er Jahren gegeben hat, einlösen kann.
Jakes Gerwel Technical Highschool
Mit dieser Hoffnung im Kopf fuhren wir weiter zu dem Berufsbildungs-Projekt, das der Freundeskreis Wakkerstroom in Südafrika begleitet und bei dem ich mir versprach, professionellen Input liefern zu können.
Der Aufbau und die Leitung eines praxisorientierten, verschiedene Berufe integrierenden Berufsbildungszentrum im ländlichen Raum, damit sollte ich mich auskennen.
Doch was ich dann zu sehen und hören bekam, verschlug mir die Sprache!
Michael Hoffschroer
Die Jakes Gerwel Tegnies (JGT) machte als toller, riesiger, neugebauter Gebäudekomplex an einem Hügel in Bonnievale zunächst nicht den Eindruck, als ob hier unsere Hilfe tatsächlich benötigt werden würde.
Eine starke Gemeinschaft
Nach der Begrüßung durch den Schulleiter und einigen der Initiatoren des wundervollen Schulprojektes wurde uns die Geschichte hinter der „Schule der Hoffnung“ vorgestellt.
Wir erfuhren, dass sich einige Bewohner Bonnievales um Wilhelm de Wet und Albert Jonker vor ein paar Jahren mit dem Problem konfrontiert sahen, dass in kurzer Zeit rund 1.500 Schüler einem Angebot von nur 350 Plätzen an den örtlichen Highschools gegenüber stehen würden.
Dabei sei Bonnievale auch davon geprägt, dass viele Bewohner in armen oder ärmlichsten Verhältnissen leben. Gerade hieraus ergäbe sich eine große Hoffnungslosigkeit, insbesondere für die Jugendlichen, die dann häufig auf die schiefe Bahn geraten würden.
Die Initiatoren des Projektes bekamen vom zuständigen Ministerium die Aufgabe, Land und 60 Prozent des notwendigen Investitionsvolumens aufzutreiben und eine umsetzbare Bauplanung vorzulegen, um die erforderliche Unterstützung des Staates zu erhalten. Alle Außenstehenden gingen von mindestens 2,5 Jahren Planungs- und Umsetzungsdauer aus.
Nach nur sechs Monaten hatte die Initiatoren-Gemeinschaft alle notwendigen Formalitäten und Vorbedingungen geregelt, so dass mit dem Bau der JGT begonnen werden konnte.
Die Gemeinschaft von Bonnievale hatte sich hinter der Vision dieser Berufsschule vereint und damit in kürzester Zeit die Möglichkeit für die Jugend der Gemeinde geschaffen, einen Hochschulzugang zu erreichen oder eine praxisorientierte Ausbildung zu durchlaufen.
Allein die Tatsache, dass in dem Land, das geschichtlich und aktuell durch so viele Gegensätze geprägt ist, Schwarze, Farbige und Weiße, Alte und Junge, Unternehmer und Arbeiter sich zusammen tun und eine solche Mammutaufgabe erfolgreich umsetzen, bewegte mich wahnsinnig tief.
Was wir von der JGT lernen können
Schon bald stellten uns Wilhelm, Albert und die anderen aber noch ein Herzstück ihres Projektes vor. Neben dem Gebäude hatten Sie einen umfassenden Lehr-Lernplan erstellt, der die Philosophie der Schule und die Möglichkeiten und Notwendigkeiten in Bonnievale mindestens ebenso eindrucksvoll widerspiegelte.
Dieser Lehrplan könnte eine Blaupause für eine Ergänzung des deutschen Berufsbildungssystems sein.
Denn der Lehrplan verbindet allgemeinbildende und gewerblich-technische Bildungsinhalte in einem vierjährigen, praxisorientierten Bildungsgang: Die JGT-School of Skills (Schule der Fähigkeiten) oder JGT Occupational Studies. Der Abschluss ist auf einem unteren Level des Südafrikanischen Qualifikationsrahmens eingeordnet. Was wohl einer zweijährigen Ausbildung in Deutschland entsprechen dürfte.
Daneben wurde aber auch ein anschlussfähiger, fünfjähriger Bildungsgang entwickelt, der auf eine der österreichischen Berufsmatura oder dem in Deutschland aktuell wieder einmal diskutierten Berufsabitur vergleichbare Qualifikation abzielt: JGT Mainstream to Matric oder JGT Vocational Studies.
Die Vision dahinter ist, jedes Kind entsprechend seiner Möglichkeiten zu entwickeln und keines auf dem Weg zu verlieren. Deshalb bietet die JGT in denselben modernen Werkstätten und Klassenräumen sowohl einen Lehrplan für diejenigen an, die im Anschluss Ingenieurswesen, Architektur oder Agra-Wissenschaften studieren wollen als auch eine Ausbildung für diejenigen, die praktische, handwerkliche Kompetenzen erwerben wollen.
Und ich glaube, dass wir hier auch etwas für eine Anpassung des deutschen Berufsbildungssystem lernen können: eine stärkere Differenzierung von Berufsabschlüssen, die sich an den Möglichkeiten der Lernenden und den Notwendigkeiten des Arbeitsmarktes orientiert.
Ein Anfang ist gemacht
Beim anschließenden Rundgang durch die Werkstätten wurde dann aber auch deutlich, dass dieses Projekt noch ganz am Anfang steht. Die Ausstattung der Werkstätten ist in weiten Teilen noch nicht oder nur lückenhaft vorhanden. Einige Teile konnte hier aber bereits z.B. aus den Spenden, die wir vor einiger Zeit bereits vom Cloppenburger Handwerk auf den Weg gebracht hatten, eingesetzt werden.
Mehrere Hobel in der Tischlerei erkannte ich wieder. In der Schweißerei waren auch einige Geräte und die Absaugung vorhanden. Und in der Küche stand schon soviel zur Verfügung, dass uns einige Schülerinnen mit selbstgemachten Leckereien versorgen konnten.
Spontan habe ich zugesagt, die von unserem Schweißausbilder für unser Bildungszentrum selbstangefertigten Schweißtische zu fotografieren und als Baumuster zur Verfügung zu stellen. Das Angebot wurde dankbar angenommen. So einfach kann es manchmal sein.
Ein Abend mit Freunden
Nachdem wir nachmittags noch einige Stunden in unserer Unterkunft verbracht haben, fuhren wir am Abend zurück nach Robertson. Der Direktor der Bonnivale Highschool, Johan Els, hatte uns zu einer südafrikanischen Grillparty, einem sogenannten Braai, eingeladen.
Die Hoërskool Bonnievale, so der Schulname in Afrikaans, wird vom Freundeskreis Waakerstroom schon länger unterstützt und so haben sich zwischen den handelnden Personen inzwischen schon echte Freundschaften entwickelt. Sicherlich auch ein Grund, wieso die Begegnungen und Gespräche an diesem Abend eine große Tiefe und eine warme Herzlichkeit erreichten.
Insbesondere die Gespräche zur Veränderung der Lehrer-Rolle, zu den Ansprüchen der unterschiedlichen Generationen an das Bildungssystem oder zur Verantwortung der Schulträger hätten wir auch in Cloppenburg sehr ähnlich führen können.
Das Ende einer tollen Reise
Die letzten zwei Tage unsere einwöchigen Südafrika-Tour standen dann eher im Zeichen touristischer Aktivitäten.
Über den Bontebok National Park fuhren wir nach Hermanus. Wo wir eine weitere spektakuläre Unterkunft bezogen: Die Whale Rock Lodge.
Der Spaziergang entlang der Küste, der Bummel durch die Geschäfte und Parks sowie das Abendessen mit leckeren Fischspezialitäten zeigten mir nochmals eine Seite von Südafrika, die ich bei aller Nachdenklichkeit über die großen Herausforderungen gern genossen habe.
Und auch der Weg am Abflugtag zurück nach Kapstadt entlang der Küste mit Zwischenstopps an einem wunderschönen Strand und an einer weiteren Pinguin-Kolonie machten den nahenden Abschied von Südafrika nicht einfacher.
Fazit
Nach meinem privaten Trip nach Namibia und dieser Tour nach Südafrika bin ich endgültig zu einem Fan des südlichen Afrikas geworden. Nicht nur die Tiere sondern auch die Menschen dort unten sind mir bei aller Andersartigkeit sehr nah. Ein Gefühl, dass ich nur in wenigen anderen Regionen dieser Erde erlebt habe, und das auch meine Fotos nur in begrenztem Umfang einfangen können.
Und deshalb werde ich mich nicht nur im Freundeskreis Waakerstroom sondern hoffentlich bald auch im Umfeld der Kreishandwerkerschaft Cloppenburg noch stärker für eine Zusammenarbeit des Oldenburger Münsterlands mit dem südlichen Afrika einsetzen.
Die Projekte meines Kollegen Frank Tischner – der den fantastischen Blog Hand auf´s Herz schreibt – von der Kreishandwerkerschaft Steinfurt-Warendorf sind dabei sicherlich nicht nur Inspiration sondern Vorbild.
Seid also mit mir zusammen gespannt, was sich aus dieser Reise nach Südafrika und den ersten Begegnungen dort entwickeln wird.
[Die dargestellten Bilder sind urheberrechtlich geschützt. Das Copyright liegt bei Dr. Michael Hoffschroer]
Toller Bericht. Danke für die Eindrücke. Habe alle drei Teile des Berichtes mit großer Aufmerksamkeit gelesen. Ein schönes Gefühl, wenn man helfen kann, oder?!
Dankeschö!!!
Hallo Andre,
in wenigen Monaten fliegt wieder eine kleine Gruppe aus unserer Region nach Südafrika und wird voraussichtlich auch wieder einige Projekte dort besuchen. Gerade auch diese nachhaltige Verbindung ist sehr wertvoll.
Gibt es soziale Projekte, bei denen Du Dich engagierst?
LG, Michael
Hallo Michael,
nein, ich unterstütze derzeit noch keine Projekte. Wir haben noch genug mit unserer eigenen Firma zu tun. Aber zumindest bei mir besteht der Wunsch zu einem späteren Zeitpunkt ein Projekt zu suchen, für das der HWS Handwerker Service etwas tun kann. Möglichst mit einem persönlichen Bezug. Ich halte nicht viele von einfach nur Summe X spenden. Ich möchte sehen, was bewegt wird und dabei sein.
Gruß aus Hamburg, Andre