Vor zwei Wochen hat Dennis Makselon hier auf dem Blog einen Artikel veröffentlicht, in dem er dafür plädiert, dass mehr Handwerker studieren gehen sollen.
Eine steile These für jemanden, der bei einem handwerklichen Bildungsträger arbeitet, habe ich ihm seinerzeit gesagt und er hat mir zumindest nicht vehement widersprochen. Umso mehr sah ich mich gefordert, eine Gegenthese zu seinem Text zu begründen. Das Ergebnis habt ihr nun vor Euch.
Gern will ich Dennis zugestehen, dass einige Argument, die er in dem Text als Begründung anführt, dass mehr Handwerker studieren gehen sollten, nachvollziehbar sind. Zum Beispiel
- der Blick über den (regionalen, fachlichen, persönlichen) Tellerrand,
- die akademisch-strukturierte Vertiefung des Wissen,
- die Erschließung wissenschaftlicher Problemlösungsstrategien oder
- die persönliche Verbindung von beruflichem und akademischem Wissen.
All dies sind Punkte, die insbesondere für die Arbeit als Führungskraft in einem Unternehmen oder in der Verwaltung von großer Bedeutung und damit für denjenigen, der über diese Kompetenzen verfügt, von hohem Nutzen sein können.
Handwerker und Akademiker –
(k)ein Widerspruch
Dennoch halte ich die verkürzte Interpretation, dass Handwerker um erfolgreich sein zu können, studieren müssen, für falsch.
Vielleicht gilt sogar, dass erfolgreiche und begeisterte Handwerker regelmäßig studierfähig sind. Zumindest stützen das Konzept der offenen Hochschule – also die Zuerkennung der Hochschulzugangsberechtigung für Personen ohne Abitur aber mit einer beruflichen Qualifikation – und die im europäischen und deutschen Qualifikationsrahmen (EQR, DQR) – unter dem Gesichtspunkt der Kompetenz – verankerte Gleichwertigkeit beruflicher und akademischer Bildungsabschlüsse diesen Schluss.
In jedem Falle aber gilt, dass nicht jeder erfolgreiche und begeisterte Handwerker studiert haben muss. Zahlreiche historische und aktuelle Beispiele im Cloppenburger Handwerk zeigen das. Geschätzt verfügen nur rund 10 Prozent unserer aktuellen Innungsmitglieder über Inhaber oder Betriebsleiter, die einen akademischen Abschluss nachweisen. Tendenz sicherlich steigend, aber bis sich hier eine Umkehr der Mehrheitsverhältnisse ergeben wird, gehen (zum Glück) noch viele Jahre ins Land – wenn es denn überhaupt je soweit kommt.
Die praxisorientierte Innovationkraft des deutschen Handwerks ist eine der wesentlichen Säulen des Erfolgsmodells Soziale Markwirtschaft und vor allem ein Erfolgsgeheimnis der Boom-Region Oldenburger Münsterland.
Um die aktuelle Debatte richtig einordnen zu können, lohnt ein Blick in die Vergangenheit.
Das Bildungsversprechen der 1970er
Bis in die 1970er Jahre hinein war die höhere allgemeine und vor allem die akademische Bildung in Deutschland einer kleinen, elitären Gruppe vorbehalten. Bis in die 1960er Jahre erlangten nur rund 6 Prozent der Bevölkerung die Allgemeine Hochschulreife. Damit verbunden war, dass diesem kleinen Teil der Gesellschaft der Zugang zu bestimmten hochdotierten und prestigeträchtigen Positionen und Funktionen vorbehalten war.
Nicht zuletzt diese gesellschaftliche Ungerechtigkeit führte zu der Forderung einer Bildungsexpansion. Das Streben nach höheren Bildungsabschlüssen war sowohl Teil der gesellschaftlich-emanzipatorischen Bewegung als auch des wirtschaftlichen Aufschwungs in Deutschland und des damit verbundenen Bedarfs an höherqualifizierten Arbeitskräften.
Damals galt insofern das Versprechen, dass diejenigen, die einen formell höheren Bildungsabschluss erreichten auch wirtschaftlich erfolgreicher sein werden. Abitur und Studium hatten eine sehr hohe Bildungsrendite.
„Mach Abitur, geh studieren, dann wirst Du es einmal besser haben als wir!“
war eine Satz, den viele Eltern ihren Kindern seinerzeit zurecht mit auf dem Weg gaben.
Bildungssystematische Ausflüsse dieser auch politisch gewollten Bildungsexpansion waren die Deregulierung der Hochschulzugangsberechtigung und der Ausbau der Hochschulen. Ebenso sind die Wissenschaftsorientierung in der Schulbildung und die studienvorbereitende, wissenschaftspropädeutische Funktion des Abiturs auf diese Zeit zurückzuführen.
Gesellschaftlich folgte aus der Bildungsexpansion, dass die Kinder regelmäßig einen formell höheren Bildungsabschluss aufwiesen als ihre Eltern. Viele junge Menschen waren die ersten aus ihren Familien, die studieren gehen konnten. Der Zugang zu höherer Bildung hing etwas weniger vom sozialen Milieu oder dem Wohlstand der Familie ab, in die man hineingeboren wurde.
Die Bildungsversprechen der 2000er
Dennoch begann bis Mitte der 2000er Jahre in Deutschland die Mehrheit einer Jahrgangskohorte, also der Personen , die in einem bestimmten Jahr geboren worden waren, eine duale Berufsausbildung. Vielfach im gewerblich-technischen Bereich.
Nicht zuletzt auf Druck der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD), die Deutschland über Jahre eine zu niedrige Hochqualifiziertenquote vorhielt, wurde daraufhin viel unternommen, um dieses vermeintliche Manko auszugleichen. Innerhalb weniger Jahr schnellte der Anteil der Studienanfänger in einer Kohorte daraufhin auf rund 60 Prozent.
Gleichzeitig war der Ausbildungsmarkt in dieser Zeit durch einen großen Nachfrageüberhang geprägt. Viele Jugendliche, die eine Ausbildung beginnen wollten, fanden keinen betrieblichen Ausbildungsplatz und wurden in Teilen entweder in schlechte Ausbildungsbetriebe, in ineffiziente Qualifizierungsmaßnahmen oder an weiterführende Schulen gedrängt. Das Berufsbildungssystem wurde hierdurch geschwächt.
Hinzu kam eine zunehmende Stärke der Dienstleistungswirtschaft, die nur begrenzt Erfahrung mit dem dualen Berufsbildungssystem hatte und in diesem System auch kaum passenden Strukturen (z. B. IT-Ausbildungsberufe) vorfand. Auch diese nicht optimale Situation schwächte das Berufsbildungssystem und stärkte akademische Strukturen.
Insgesamt ergab sich eine starke Dynamik im gesellschaftlichen Streben nach einer formellen Höherqualifizierung und nach so genannten „Weißen-Kragen-Berufen“. Die seit den 1970er Jahren angestrebte Bildungsexpansion wurde Realität.
Hinzu kam, dass durch den so genannten Bologna-Prozess, das traditionelle, auf wissenschaftliche Forschung und Lehre ausgerichtete deutsche Studiensystem einen grundlegenden Umbruch erfuhr.
Die Einführung von berufsqualifizierenden Bachelor- und wissenschaftsorientierten Master-Studiengängen nach einem angelsächsischen Verständnis des Bildungssystems führte zwar zu einer besseren internationalen Vergleichbarkeit von Studienabschlüssen und beförderte damit die berufliche Mobilität deutscher Studienabsolventen. Gleichzeitig trat das akademische System damit in Deutschland in den unmittelbaren Wettbewerb zum etablierten dualen Berufsbildungssystem.
Berufsqualifizierende Studienabschlüsse opferten die Wissenschafts-/Forschungsorientierung des akademischen Bildungssystems zu Gunsten der arbeitsmarktlichen Verwertbarkeit.
Die Bildungsversprechen der 2000er Jahre waren somit zum einen die Realisierung der seit den 1970er Jahren angestrebte Bildungsexpansion und zum anderen die internationale Arbeitsmarktverwertbarkeit von Studienabschlüssen.
Und heute?
Auch wenn das deutsche Bildungssystem immer noch stark durch sozio-kulturelle Differenzierungen geprägt ist, zeigt die stetig steigende Quote der Studienbeginner doch, dass akademische Bildung heute kein elitärer Luxus mehr ist.
Das weitere Streben nach einer Bildungsexpansion, also dem Streben nach immer höheren Bildungsabschlüssen, führt daher zu komischen Auswüchsen. So werden meine Kinder ggf. mal in die deutsche Statistik als „Bildungsversager“ eintreten, nur weil Sie keinen Professoren-Titel erlangt haben. Einziger Grund: Ihr Vater hat es geschafft, eine Promotion erfolgreich abzuschließen.
Auch wenn jetzt ggf. mancher von Euch schmunzeln mag. Diese Debatte erlebe ich in unseren Berufsorientierungsprojekten beinahe täglich. Der 15jährige Sohn des Lehrer-Ehepaares, der alles dafür tun würde, dass seine Eltern seinen Wunsch nach der 10. Klasse Zimmermann zu werden, respektieren würden. Die bemitleidenden Blicke der Studienfreunde, wenn der Anwalt davon erzählt, dass seine Tochter statt des Studiums eine Lehre in der Tischlerei beginnen wird.
Der gesellschaftliche Druck, seinen Kindern eine bessere Bildungschance zu ermöglichen ist heute so groß, dass viele Kinder zu weiterführenden Schulen geschickt werden, ohne dass ihre Fähigkeiten oder eigenen Bedürfnisse realistisch betrachtet werden.
Wie viele Bildungsbiografien wurden wohl schon dadurch versaut, dass ein Kind, das über Potentiale verfügt, die z. B. in einem dualen Berufsbildungssystem gefördert werden können, doch dem Wunsch der Eltern zu Liebe in einem klassischen Gymnasium stecken bleibt, dort immer wieder scheitert und somit eine persönliche Bildungsfrustration erlebt.
Andererseits werden die Chancen, die in der Berufsbildung liegen immer noch zu häufig unterschätzt.
Denn bereits im Jahr 2010 stellte das Institut der deutschen Wirtschaft fest:
Die Ausbildung zum Meister oder Techniker bringt eine höhere Bildungsrendite als ein Studium
Christina Anger, Axel Plünnecke: Bildungsrenditen in Deutschland – Einflussfaktoren, politische Optionen und ökonomische Effekte, IW-Analysen Nr. 65, Köln 2010;
IW Pressemitteilung Nr. 41/22. September 2010
Allein der Lohn, auf den beruflich Fortgebildete für ihre Ausbildung verzichten, verzinst sich durch die höheren Einkünfte mit 8,3 Prozent. Bei Hochschulabsolventen liegt die Bildungsrendite lediglich bei 7,5 Prozent.
Darüber hinaus macht sich der Meister oder Techniker auch noch deutlich schneller bezahlt. Bereits mit durchschnittlich 40 Jahren hat diese Zielgruppe ihre Bildungsinvestition wieder eingespielt. Drei Jahre früher als bei Akademikern.
Des Weiteren sind die Beschäftigungschancen für Meister und Techniker besser. Ihre Arbeitslosenquote lag im Untersuchungsjahr 2008 bei nur 2,9 Prozent (Männer) bzw. 3,7 Prozent (Frauen). Bei Hochschulabsolventen betrug die Arbeitslosenquote 3,0 Prozent (Männer) bzw. 4,0 Prozent (Frauen).
Und auch wenn das durchschnittliche Bruttojahreseinkommen von Meistern und Technikern zum Untersuchungszeitraum mit 42.000 Euro deutlich niedriger lag als das von Hochschulabsolventen (57.000 Euro), ist der Unterschied zwischen Gering- und Gutverdienern bei den beruflich Qualifizierten deutlich geringer. D. h. während manche Hochschulabsolventen besonders hohe Einkünfte erzielen, haben andere eben deutlich geringere Einkommen.
Allerdings muss man immer noch festhalten dass die Qualifizierungskosten für Hochschulabsolventen aufgrund des gebührenfreien Studiums regelmäßig niedriger sind als die Kosten für eine Meisterprüfung, die schonmal zwischen 4.000 und 15.000 Euro betragen können. Aber auch hier verspricht die Politik aktuell durch staatliche Meisterprämien und eine Änderungen des Aufstiegsfortbildungsförderungsgesetzes eine weitere Angleichung von beruflicher und akademischer Bildung zu realisieren.
Fazit
Das gesellschaftliche und individuelle Streben nach (vermeintlicher) Höherqualifizierung führt zu einer Überforderung der Mittelbegabten und nicht zuletzt aufgrund des deutschen Bildungsföderalismus zu einer Aufweichung der Schulabschlüsse.
Wenn wir heute in manchen Regionen eine Abiturquote von deutlich über 50 Prozent einer Kohorte haben, steht das in keinem Verhältnis zu dem Anspruch, der mit dem höchsten allgemeinbildenden Abschluss und der studienvorbereitenden, wissenschaftspropädeutischen Funktion des Abiturs verbunden werden sollte.
Das international hochgelobte deutsche Berufsbildungssystem muss seine Stärken hier in Deutschland deutlich selbstbewusster vertreten. Dieses System sorgt für eine sehr niedrige Jugendarbeitslosigkeit und eine hohe Produktivität in Handwerk und Technik.
Aus meiner Sicht ergibt sich aus den Bildungsversprechen der 2000er, vor allem eine unangemessene Geringschätzung beruflicher Qualifikationen. Dies wiederum führt in Verbindung mit weiteren Faktoren zu einem eklatanten Mangel an Nachwuchs für die Facharbeiterebene in unserem Arbeitsmarkt.
Bestenfalls müssen wir zurzeit von einem Verdrängungswettbewerb zwischen beruflich und akademisch qualifizierten Fachkräften ausgehen. Andererseits droht uns der Verlust von weiten Teilen unserer beruflichen Produktionskompetenz und damit der Verlust eines internationalen Alleinstellungsmerkmals sowie erhebliche Wettbewerbsnachteile.
Außerdem ergibt sich aber auch ein zunehmender Widerspruch zwischen der bewährten Wissenschafts-/Forschungsorientierung der deutschen Hochschullandschaft und der nun zunehmend in den Fokus rückenden arbeitsmarktlichen Verwertbarkeit der Studienabschlüsse.
Oder wie Julian Nida-Rümelin in einem Beitrag in der Huffington Post formulierte
„Die Trennung in berufs- und wissenschaftsorientierte Studiengänge legt die Axt an dieses Erfolgsmodell der Hochschulbildung (…)“
Julian Nida-Rümelin
Auch die Strategie der inhaltlichen, methodischen und strukturellen Zusammenführung des akademischen und beruflichen Bildungssystems birgt die große Gefahr, beim Versuch alles zu wollen, den Fokus zu verlieren und in der Mittelmäßigkeit gefangen zu bleiben – sowohl im akademischen als auch im berufsbildenden System.
Diese Strategie der Angleichung könnte nur funktionieren wenn man von einer Gleichartigkeit beruflicher und akademischer Bildung ausgehen würde. Die ist aber vor dem Hintergrund des differenzierten deutschen Bildungssystems weder gegeben noch erstrebenswert. Vielmehr gilt es, dem Prinzip der Gleichwertigkeit als Maßstab der weiteren Optimierung des deutschen Bildungssystems zu folgen.
Insbesondere die Fragen der strukturellen Durchlässigkeit, der gegenseitigen Anrechnungsfähigkeit und der gesellschaftlichen Anerkennung/Wertschätzung müssen wir insofern weiterhin angehen, um sowohl im berufsbildenden als auch im akademischen Bildungssystem internationale Exzellenz zu wahren, zu erreichen oder auszubauen.
Quellen:
https://www.huffingtonpost.de/julian-nidaruemelin/universitaet-studium-akademiker-arbeitslos_b_17799420.html
https://de.wikipedia.org/wiki/Bildungsreform
https://www.iwkoeln.de/fileadmin/publikationen/2010/54986/PM_41-Bildungsrendite.pdf
„Besseres Leben“ bedeutet nicht für Jeden mehr Geld zu haben.
Man kann auch mit 5000k Netto in einer 25m²-Wohnung leben WOLLEN, und einen Fiat Punto fahren WOLLEN, und nicht verreisen, nicht im Restaurant essen etc.
OHNE darauf zu „verzichten“, sondern einfach fehlendes Interesse.
Auch mit 1Mrd auf dem Konto würde ich keine Limousine von Mercedes oder BMW etc. fahren wollen.
Es gibt Menschen die haben mehrere Tausend Euro Netto, aber leben frugalistisch inkl. Warmmiete von evtl. €650/Monat.
Um dann mit 30 in den Ruhestand zu gehen, und von den Zinsen und Dividenden etc. zu leben.
Alles was sie nicht ausgeben, legen die sicher aber gewinnbringend an.
Auch mit €2150 Netto wären das €1500 die jeden Monat angelegt werden. Macht nach 10 Jahren 180k, ohne Zinsen etc. mit zu rechnen.
Der Unterschied ist, dass Handwerker, egal wie viel sie verdienen, einer repetitiven Tätigkeit nachgehen.
Natürlich gibt es das auch unter Studienberufen, z.B. praktische Medizin, Chirurgie etc., sind nur Handwerker ohne Forschung oder andere echte Abwechslung.
Auch ein Chefarzt in der Charité halte ich persönlich nicht für erstrebenswert. Auch nicht bei 500k Jahreseinkommen.
Bei BWL sehe ich auch nicht die Abwechslung.
Ansonsten studieren Menschen aber Etwas dass sie wirklich interessiert, und meist auch wirkliche Abwechslung bietet.
Nehmen wir an 1000 Fliesenlegermeister und 1000 Physiker im Alter von 30 gewinnen im Lotto 100 Millionen Euro.
Wer würde da wohl eher kündigen…?!?
Auch als Meister mit Betrieb werden diese sich eher überlegen zu verkaufen oder sich einen Geschäftsführer zuzulegen.
Wenn man eine Arbeit aufgäbe, wenn man zu viel Geld kommt, macht man sie nur des Geldes wegen.
Simple Logik.