Dies ist der erste Teil von Zweien, die sich mit dem Thema Digitalisierung im Handwerk – Risiken und Chancen auseinandersetzt.
Am 07.02.2019 fand in Oldenburg das PRAXISFORUM DIGITALISIERUNG statt. Rund 200 Personen trafen sich zu einem Barcamp, um sich über unterschiedlichste Themen vor allem auch der Digitalisierung im Handwerk auszutauschen.
In einer der 20 Sessions durfte ich eines der Digitalisierungsprojekte der Kreishandwerkerschaft Cloppenburg vorstellen.
Das JOBSTARTER plus-Projekt
„SHK + Mehr“
Die Kreishandwerkerschaft Cloppenburg führt seit dem 1. Juli 2017 das dreijährige JOBSTARTER plus-Projekt SHK + Mehr durch.
Das Projekt befasst sich in der dreijährigen Laufzeit mit den veränderten Anforderungen an die Qualifikation des Personals durch die Digitalisierung im Sanitär-, Heizungs- und Klimatechniker-Handwerk.
Wesentliche Meilensteine des Projektes sind erstens Informationsveranstaltungen zu den betrieblichen Anforderungen an die Aus- und Weiterbildung durch die Digitalisierungsprozesse. Diese werden in Kooperation mit Anbietern digitaler Technologie, der Handwerkskammer, dem Landes- und Bundesinnungsverband sowie Initiativen zur Digitalisierung der Wirtschaft in Niedersachsen praxisnah umgesetzt.
Des Weiteren geht es um Betriebsberatungsangebote mit dem Ziel, die Betriebsinhaber vor Ort dabei zu unterstützen, das Thema Digitalisierung noch intensiver in die tägliche Ausbildung zu integrieren.
Dritter Baustein ist die Entwicklung und Erprobung einer mehrteiligen Weiterbildung für Ausbilder im SHK-Handwerk. Ziele hierbei sind der Erwerb eigener Kompetenzen im Bereich der digitalen Technologie und die effiziente Vermittlung dieser Kompetenzen an die handwerklichen Auszubildenden sowie die Nutzung des Themas zur Verbesserung des Ausbildungsmarketings.
Begriffsbestimmung „Digitalisierung im Handwerk“
Beim Thema Digitalisierung gilt: Alle reden drüber, aber kaum jemand weiß, was sich hinter dem Begriff verbirgt.
Um vor dem Hintergrund dieser Erkenntnis die Arbeit im Projekt besser fokussieren zu können, haben meine Kollegen und ich folgende Arbeitsdefinition für den Begriff Digitalisierung im Handwerk erarbeitet:
„Digitalisierung ist ein Veränderungsprozess im Handwerksunternehmen, der sowohl die fachlich-technischen, die organisatorisch-verwaltenden als auch die kommunikativen Bereiche derart betrifft, dass dort die Sammlung, Verarbeitung, Nutzung und der Austausch von elektronischen Daten zur zentralen Aufgabe wird.“
Projektteam SHK + MEHR, Kreishandwerkerschaft Cloppenburg
Die Kollegen des Kompetenzzentrums Digitales Handwerk haben eine ganz ähnliche Begriffsbestimmung in diesem Video zusammengefasst:
Die Befragungsmethode
In unserem Projekt SHK + MEHR haben wir eine Befragung der regionalen Handwerksunternehmen aus den Bereichen Sanitär-, Heizungs-, Klima- und Elektrotechnik durchgeführt.
Dabei kam ein modifizierter IDQ-Prozess zum Einsatz, der qualitative und quantitative Erhebungsmethoden – ähnlich einer Delphi-Studie – so miteinander vereint, dass belastbare Aussagen über die Einschätzung der Bedeutung bestimmter Themen getroffen werden können.
Der IDQ-Prozess, den ich während meiner Zeit beim Forschungsinstitut für Berufsbildung im Handwerk an der Universität zu Köln mitentwickelt habe, folgte dabei diesem Schema:
- Monitoring und Themensammlung durch das Projektteam
- Expertenworkshop zur Bedeutung der gesammelten Themen
- weitreichende Online-Umfrage zur Bedeutung der gesammelten und von den Experten behandelten Themen
- Expertenworkshop zu den Ergebnissen der Online-Befragung
- Zusammenfassung und Berichterstattung der Ergebnisse des Prozesses
Das Monitoring und der erste Expertenworkshop endete in unserem Digitalisierungsprojekt mit einer Liste von über 100 Themen. Diese haben wir im Online-Fragebogen dann gemäß unserer Arbeitsdefinition in vier Themenbereiche aufgeteilt:
- fachlich-technische Themen
- organisatorisch-verwaltende Themen
- kommunikative Themen
- Ausbildungsthemen
Die bisherigen Erkenntnisse
Ohne jetzt jedes Detail der Befragung benennen zu wollen oder in diesem Format zu können, stelle ich Euch gern fünf zentrale Erkenntnisse aus dem bisherigen Projekt vor:
- Mehr als 2/3 der Handwerksunternehmen messen der Digitalisierung insgesamt eine hohe bis sehr hohe Bedeutung für ihren Betrieb bei.
- Große Unternehmen (vor allem mit mehr als 50 Mitarbeitenden) sind bei der Bewältigung der Herausforderungen der Digitalisierung besser aufgestellt als kleine Unternehmen.
- Das Elektro-Handwerk ist in Sachen Digitalisierung weiter als das SHK-Handwerk.
- Themen der Digitalisierung, die Veränderungsdruck bei Dritten/Anderen auslösen, werden von den Unternehmern tendenziell wichtiger eingestuft als Themen, die im Unternehmen selber zu Veränderungen führen müssten.
- Die Digitalisierung im Handwerk ist nicht in erster Linie technologiegetrieben, z. B. durch Smart-Home-Technologie, sondern vielmehr ein Veränderungsprozess der qualifizierungs-, kommunikations- und organisations-/prozessorientiert angestoßen wird.
Das zutiefst Erschreckende
Bis hierher waren die Erkenntnisse zwar teilweise überraschend aber doch nicht erschreckend. Das änderte sich zum Teil erheblich, als wir uns die Bewertung einzelner Themen im Detail angeschaut haben.
Heute will ich Euch aber nicht für jedes der über 100 Themen die konkreten Einschätzungen liefern. Vielmehr fokussiere ich mich auf zwei Themen, deren Bewertung mich wirklich kopfschüttelnd, erschüttert und zutiefst erschrocken hinterlassen haben.
Unter anderem haben wir im Bereich der
organisatorisch-verwaltenden Themen nämlich nach der Bedeutung von so genannten digitalen Plattformmärkten für die Beschaffung und den Absatz der Handwerker gefragt.
Das zutiefst erschreckende Ergebnis: Weder in der Beschaffung noch beim Vertrieb glauben die regionalen Handwerksunternehmen, dass diese Marktform für sie in den nächsten fünf Jahren von Bedeutung sein wird.
Dr. Michael Hoffschroer, Projektleiter SHK + MEHR bei der Kreishandwerkerschaft Cloppenburg
Insofern ist das Handwerk gerade dabei, sich selbst abzuschaffen!
Denn bereits heute tummeln sich im Internet zahlreiche Anbieter, die Handwerkern über Online-Plattformen Aufträge vermitteln und sich als Marktplätze für Handwerksprodukte und Dienstleistungen profilieren. Stichwort: zunehmender Wettbewerb!
Wirtschaftswissenschaftler sehen in den Plattformen einen Megatrend mit dem Potential, traditionelle Vertriebs- und Beschaffungswege in kurzer Zeit zu verdrängen. So haben sich z. B. der Taxidienst Uber, der Zimmervermittler AirBnB, der Zahlungsdienst Paypal oder der Vollsortimenter Amazon in wenigen Jahren zu Marktführern ihrer Branchen entwickelt und traditionelle Wettbewerber verdrängt. Stichwort: Disruption des Geschäftsmodells!
Die neuen Konzerne nutzen ein verändertes Kundenverhalten im Hinblick auf die Nutzung des Internets sowie die Möglichkeit, Produktinformationen mit Kundenbewertungen, Markt- und Preisinformationen anzureichern. Stichwort: verändertes Kundenverhalten!
Verpassen unsere Handwerksunternehmen aufgrund einer systematischen, strukturellen Fehleinschätzung der Bedeutung von Plattformmärkten diesen Trend, könnten diese rasch vom Markt verdrängt werden. Stichwort: hohe Veränderungsgeschwindigkeit!
Diese Botschaft durfte ich auch dem stellvertretenden niedersächsischen Ministerpräsidenten Dr. Bernd Althusmann im Februar 2019 bei der Halbzeitbilanz unseres Projektes SHK + MEHR übermitteln.
Oder schaffen wir es im Handwerk, die Chancen zu erkennen und zu nutzen?
Insbesondere beim Thema Plattformmärkte zeigt sich aber auch, dass Handwerker, die sich auf diesen Trend einlassen und ihn sogar mitgestalten, großes Wachstum generieren könnten, wenn sie die Plattformen nutzen, um z. B. Zusatzgeschäfte zu akquirieren und das klassische Marketing zu ergänzen.
Die aktuelle Entwicklung bietet durch kleinteilige und oftmals unübersichtliche Marktbedingungen im Bereich handwerklicher Dienstleistungen und Produkte geradezu ideale Ausgangsbedingungen für Online-Plattformen, die sich als zentrale Vermittlungsstelle zwischen Lieferant, Handwerker und Kunden positionieren.
Vorreiter wie die Vermittlungsplattform myhammer.de oder der Online-Heizungsinstallateur thermondo.de zeigen, was hier möglich ist. Auch Tchibo bietet mit dem Partner banova in der Zwischenzeit komplette Badezimmer online an.
Zahlreiche weitere Spezialplattformen zu den unterschiedlichsten handwerklichen Produkten und Dienstleistungen sind heute bereits aktiv und wachsen stetig.
Die mehr als zurückhaltende Bewertung dieser Entwicklung durch unsere Handwerksunternehmen zeigt, dass es richtig ist, dass wir hier als Kreishandwerkerschaft und Innung aktiv geworden sind.
Andreas Dalinghaus, Berater für Digitalisierung bei der Kreishandwerkerschaft Cloppenburg
Wenn es Handwerksunternehmern gelingt, zeitnah ins Handeln zu kommen, kann das Handwerk insgesamt ggf. sogar einer der großen Gewinner der Digitalisierung werden. Denn rein technisch lassen sich viele Arbeiten außerhalb des Kompetenzbereiches Handwerk wohl sehr viel einfacher digitalisieren.
Was das mit Innungen und Kreishandwerkerschaften zu tun? Dazu lest gern nächste Woche den zweiten Teil dieser Serie.
Freue mich auf Eure Kommentare, Euer Feedback!
PS: Wenn Du mehr erfahren willst
JOBSTARTER plus: Betriebe unterstützen, Ausbildung gestalten, Fachkräfte gewinnen: Mit dem Ausbildungsstrukturprogramm JOBSTARTERplus fördert das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) bundesweit die Verbesserung regionaler Ausbildungsstrukturen. Die JOBSTARTERplus-Projekte unterstützen mit konkreten Dienstleistungen kleine und mittlere Unternehmen in allen Fragen der Berufsausbildung und tragen so zur Fachkräftesicherung bei. Durchgeführt wird das Programm von der Programmstelle JOBSTARTER beim Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB). Das Projekt SHK + Mehr wird als JOBSTARTER plus-Projekt gefördert aus Mitteln des Bundesministeriums für Bildung und Forschung und des Europäischen Sozialfonds.
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