Erfahre warum gerade in Zeiten einer existenziellen Krise der Wert von Arbeit an Bedeutung gewinnt; warum sich dieser Wert nicht nur in Geld bemisst und wieso gerade deshalb das Handwerk gestärkt aus der Krise hervorgehen wird.
Alle, die mir hier oder auf anderen Wegen schon länger folgen, wissen, dass ich mich als Handwerker verstehe, obwohl ich kein besonderes technisches Geschick und auch keine gewerblich-technische Ausbildung absolviert habe. Vielmehr habe ich mich bewusst gegen eine Ausbildung in einem Handwerksberuf entschieden und eine klassische kaufmännische und akademische Berufslaufbahn eingeschlagen. Dass ich dennoch seit früherster Kindheit vom Handwerk fasziniert bin und selber seit mehr als 20 Jahren im und für das Handwerk beruflich tätig bin, hat aber seine Gründe.
Einer der Gründe ist, dass im Handwerk die Arbeit jeher wertgeschätzt wird. Handwerker sind stolz auf die Arbeit, die sie täglich leisten und das nachhaltige Ergebnis ihrer Arbeit.
Dr. Michael Hoffschroer
Wie oft hört man in Gesprächen mit Handwerkern, dass sie mit großer Zufriedenheit über das Gefühl der körperlichen Erschöpfung reden, das sie auf dem Heimweg von der Arbeit begleitet, dass sie mit Anerkennung darüber reden, was andere und sie selber „mit ihrer Hände Arbeit“ alles geschafft haben und wie das von ihnen Geschaffene die Zeit überdauert.
Ein selbstverständliches Gefühl der Wertschätzung von Arbeit, das sich unsere Gesellschaft in Zeiten der Corona-Pandemie insgesamt erst wieder mühsam erarbeitet.
Was ist Arbeit?
Arbeit kann mindestens im naturwissenschaftlichen und geisteswirtschaftlichen Sinne definiert werden. Demnach ist Arbeit zum einen Energie, die durch Kräfte auf einen Körper übertragen wird. Zum anderen eine zielgerichtete menschliche Tätigkeit zum Zweck der Veränderung der Umwelt.
In einem engeren betriebswirtschaftlich-soziologischen Verständnis ist Arbeit gleichgesetzt mit der Erfüllung beruflicher Aufgaben, dem Beruf oder dem Arbeitsplatz.
Historisch betrachtet war Arbeit dabei lange Zeit eine mit Mühsal, Plage und Leid verbundene, (körperliche) Tätigkeit, die aus reiner Notwendigkeit zum Existenzerhalt ausgeübt wurde. Arbeit galt es zu meiden, je weniger Arbeit man übernehmen musste, desto höher der gesellschaftliche Rang. Durch die Industrialisierung und die damit einhergehende Arbeitsteilung verlor insbesondere die Arbeit im Sinne der körperliche Anstrengung noch weiter an Ansehen.
Wenn überhaupt Arbeit, dann geistige Arbeit: Kopfarbeit in „weißen Kragen-Berufen“ wurde zum individuellen Ziel. Gesellschaften strebten danach, Wertschöpfungen mit immer weniger körperlicher Arbeit zu betreiben.
Der individuelle Wert von Arbeit
Die Arbeitslosenzahl ist in Deutschland bis in das Frühjahr 2020 auf ein historisch niedriges Niveau gesunken. Stichworte wie Vollbeschäftigung und Fachkräftemangel beherrschten die Debatte. Die Aufgabe der Agentur für Arbeit konzentrierte sich darauf, auch noch die letzten, verborgenen Potentiale im Arbeitskräfteangebot nutzbar zu machen.
Die Arbeit und der eigene Arbeitsplatz waren sicher – und das war eine Selbstverständlichkeit. Wenn dies vielleicht auch nicht für jeden galt, dann aber zumindest doch für die allermeisten, die dem deutschen Arbeitsmarkt zur Verfügung standen. Ein trügerisches Gefühl, wie die Zahlen der Agentur für Arbeit für den April 2020 belegen.
Gleichzeitig merken auch viele, die sich selbst in Zeiten der Corona-Pandemie keine Sorge um ihren Arbeitsplatz machen (müssen), dass die gesundheitsbezogen gebotene und staatlich verordnete Abstinenz vom Arbeitsplatz etwas mit ihnen macht, das sie so nicht erwartet hätten.
Und auch wenn mit der Idee von New Work und den Diskussionen über moderne Mitarbeiterführung der sinnstiftende Aspekt der Arbeit in bestimmten Kreisen schon seit einiger Zeit wieder in den Fokus rückt, wirkt die Pandemie hier als Katalysator.
In der Corona-Krise kehren bald viele Beschäftigte an ihren Arbeitsplatz zurück. Die mit ihm verbundene Sicherheit genießt im Leben vieler Menschen wieder höchste Priorität.
Sven Astheimer, Kommentar in der Frankfurter Allgemeine Zeitung
Es kommt gerade zu einer persönlichen und auch gesellschaftlichen Erkenntnis, dass nicht die Arbeit, sondern das Fehlen von Arbeit zu Problemen führt. Dies liegt wohl u. a. daran, dass die Arbeit als strukturierendes, sinn- und wertstiftendes Element des Alltags, aber auch als sozial-kommunikativer Bestandteil des Lebens in einem bisher unbekannten Maße wegfällt. Die damit verbundene Entbehrung in einem stark eingegrenzten sozialen und räumlichen Umfeld empfinden wir als unbefriedigend oder sogar deprimierend.
Viele von uns schätzen ihre Arbeit und ihren Arbeitsplatz wieder mehr wert, als vor der Krise. Ich bin gespannt, wie lange dieses Phänomen der persönlichen Wertschätzung für die eigene Arbeit anhält.
Der gesellschaftliche Wert von Arbeit
Der gesellschaftliche Blick auf Arbeit war in den letzten Jahren von einem Wertewandel geprägt.
Mitte der 1970er Jahre provozierte Elisabeth Noelle-Neumann mit der These vom „Werteverfall“. Ausgehend von Umfragen beklagt Sie einen dramatischen Niedergang bürgerlicher Werte und vor allem des deutschen Arbeitsethos in allen gesellschaftlichen Schichten. Andere Wissenschaftler sahen im Wertewandel eine Entwicklung hin zu einer postmaterialistischen, demokratischeren Gesellschaft. Demnach verschob sich die Zielsetzung von Arbeit weg von der materialistischen Existenzsicherung hin zur Selbstverwirklichung.
Und auch wenn z. B. die Shell-Jugendstudien der jüngsten Vergangenheit zeigen, dass Arbeit weiterhin ein große Bedeutung im Werte- und Zielkanon der Generationen hat, bleibt es bei der Erkenntnis, dass dabei regelmäßig nicht die Art von Arbeit gemeint ist, die in erster Linie der materiellen Existenzsicherung dient, die mit großer körperlicher Anstrengung verbunden ist und eher die Befriedigung von Bedürfnissen Dritter fokussiert.
Sichtbar wird dies durchaus in den Debatten über die materielle (=Bezahlung) und immaterielle Wertschätzung (=Anerkennung) von Berufen im sozial-pflegerischen oder handwerklichen Bereich.
Aber auch hier nehme ich die Katalysator-Wirkung der Corona-Pandemie deutlich wahr, wenn ich mir z. B. folgendes Zitat ansehe:
Der Wert von bisher nicht immer ausreichend geschätzten und bezahlten Tätigkeiten hat sich in den zurückliegenden Wochen nachdrücklich ins öffentliche Bewusstsein geschoben. Nach der Krise wird sich zeigen, ob den heutigen ´Heldinnen und Helden des Alltags´ zum Beispiel in Kliniken und Pflegeeinrichtungen auch dauerhaft die nötige gesellschaftliche und finanzielle Wertschätzung entgegengebracht wird.
Bundesratspräsident Dietmar Woidke zum Tag der Arbeit 2020
Ausgehend von den beiden oben dargestellten Perspektiven will ich nun in einer Art Rückwärts-Prognose, wie sie u. a. Matthias Horx in seinem Text 48 – Die Welt nach Corona populär gemacht hat, den neuen Wert von Arbeit im Sommer 2021 beschreiben.
Der neue Wert von Arbeit
Zufrieden schauen die Vertreter der Sozialpartner in die Kameras der Journalisten, die vor dem Hotel hier im ländlichen Niedersachsen gespannt darauf gewartet haben, was heute zu verkünden ist.
Die ersten Tarifverhandlungen im niedersächsischen Metallhandwerk nachdem die Spitze der Corona-Pandemie nach Einschätzung der meisten Experten hinter uns liegt, sind gerade zu Ende gegangen.
Das Ergebnis ist geprägt von der Erkenntnis, dass Deutschland auch diesmal im internationalen Vergleich gut durch die Krise gekommen ist.
Angesichts der durchaus polarisierenden Debatte in den sozialen Netzwerken über die Ursachen dieser positiven Entwicklung – die einen sagen, es sei den weitsichtigen Entscheidungen der Politik und dem umsichtigen Verhalten der Gesellschaft zuzuschreiben, während andere eher der Auffassung sind, dass es trotz der Fehler der Politik nochmals gut gegangen sei – waren harte und zähe Verhandlungen erwartet worden.
Doch wie sich heute herausstellte, haben die Sozialpartner wieder einmal mit großem Respekt und mit erheblichem Weitblick verhandelt. Alle Beteiligten haben nicht nur die Interessen der eigenen Mitglieder sondern auch gesamtgesellschaftliche Ziele im Blick behalten. Das Grundgefühl der ersten Wochen der Corona-Pandemie, die Solidarität, das Gefühl von Wir-sitzen-alle-im-selben-Boot und Es-gibt-wichtige-Dinge-jenseits-des-Materiellen, scheinen die Tarifverhandlungen bestimmt zu haben.
Dabei ist festzuhalten, dass die Verhandlungsposition der Gewerkschaften dadurch gestärkt wurde, dass im Zuge der Bewältigung der Corona-Pandemie in der Öffentlichkeit eine absolute Unterbewertung von praktischer Tätigkeit und körperlicher Arbeit gegenüber organisatorischen, geistigen Aufgaben wahrgenommen wurde.
Arbeiter, Pfleger, Service- und Reinigungskräfte und eben auch Handwerker wurden und werden als „Helden des Alltags“ gefeiert. Zunächst sah dies nach Sonntagsreden aus, doch mit zunehmender Dauer der Krise und den damit verbundenen Einschränkungen setzte sich die Erkenntnis in der Gesellschaft durch, dass sich diese Wertschätzung diesmal auch in der konkreten Verbesserung der Arbeitsbedingungen, insbesondere in der Bezahlung, zeigen müsste.
Andererseits zeigte sich, dass insbesondere die Gewerkschaften sich mit übermäßigen Lohnforderungen zurückhielten und eher dem Ziel folgten, die Krisenfestigkeit der Unternehmen zu stärken und damit die Arbeitsplätze zu sichern.
In diesem Sinne umfasste das Tarifergebnis eine moderate Steigerung der Löhne und Gehälter, insbesondere in den unteren Lohngruppen und für die „praktischen“ Tätigkeiten fielen diese aber deutlicher aus.
„Es ist uns gelungen, dass sich die neue Wertschätzung dieser ´systemrelevanten Arbeiten´ also auch in der Bezahlung zeigt“ betonen die Arbeitnehmervertreter mit einer berechtigten Zufriedenheit.
Die Verhandlungsposition der Arbeitgeber andererseits war in der Krise auch nicht schlechter geworden. Es hatte sich gezeigt, dass die Krisenpolster der Unternehmen nicht nur notwendig sondern im Zweifelsfall immer auch zu gering dimensioniert waren – dies hatte dazu geführt, dass die absolute Lohnforderungen der Gewerkschaften sehr moderat ausgefallen waren. Insbesondere die teilweise sehr prekäre Situation zahlreicher kleiner und mittelständischer Familienunternehmer und ihre berechtigten Existenzängste während des Lockdowns waren offensichtlich prägend für die Gespräche. Die Erkenntnis, dass es ein großes unternehmerisches Risiko gibt und dass es dafür eine Entlohnung derjenigen geben muss, die bereits sind, dies Risiko einzugehen, hatte ebenfalls erheblichen Einfluss auf die Tarifverhandlungen.
So zollten die Arbeitnehmer den Arbeitgebern während der Verhandlungen auch Dank und Respekt dafür, dass insbesondere in den familiengeführten Unternehmen vieles dafür getan wurde, Arbeitsplätze zu erhalten, dass die entsprechenden staatlichen Unterstützungsmaßnahmen genutzt wurden, um einen Neustart nach der Krise zu wagen.
Auch der Wunsch der Arbeitnehmer nach einer weiteren und stärkeren Flexibilisierung von Arbeitsbedingungen – vor der Corona-Pandemie vor allem mit der digitalen Transformation begründet – wurde von den Gewerkschaften in den Verhandlungen nicht mehr in Frage gestellt. Es zeigte sich nämlich, dass insbesondere solche Firmen die Krise gut überstanden haben, die sich mit diesen Fragen frühzeitig, bestenfalls bereits vor dem Ausbruch der Pandemie, auseinander gesetzt hatten.
Neue Arbeitszeit- und Arbeitsorganisationsmodelle, die vor der Krise noch umstritten waren, sind so bis heute Teil der neuen Normalität geworden und fanden daher auch Einzug in die Tarifergebnisse. Die Corona-Pandemie war hier Katalysator vor allem auch für viele Veränderungen im Bereich der digitalen, betrieblichen Kommunikation und der beruflichen Bildung.
Gleichzeitig bekennen sich die Sozialpartner heute gemeinsam zu betrieblichen Konzepten, die eine bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie ermöglichen.
„Als Ergänzung zum Ausbau der entsprechenden staatlichen Infrastruktur sind diese Konzepte, angesichts der in der Krise offensichtlich gewordenen Probleme, kein Luxus sondern eine Notwendigkeit zum Erhalt der Leistungsfähigkeit unserer Wirtschaft. Wir sind auf starke Familien und die Ausschöpfung unserer Fachkräftepotentiale angewiesen“ erklärten die Verhandlungsführer übereinstimmend und wollten diesen Punkt auch als Wertschätzung der unbezahlten Arbeit verstanden wissen, die in den Familien geleistet wird.
Ganz konkret wurden Verabredungen getroffen, wie es zukünftig leichter möglich ist, Arbeitszeiten an familiäre und betriebliche Erfordernisse anzupassen, wie es möglich ist, innerhalb eines Unternehmens solidarische Ausgleichsmaßnahmen umzusetzen, obwohl dadurch der Gleichheitsgrundsatz nicht in jedem Einzelfall begründet gewahrt wird. Die neuen gesetzlichen Möglichkeiten dezentraler Sondervereinbarungen in Betrieben zu treffen, wurden tarifvertraglich hinterfüttert. Auch hier mit dem Ziel, zukünftig innovative und passgenaue Lösungsideen im Kleinen zu erproben und ggf. für einen größeren Rahmen nutzbar zu machen.
Insgesamt kann man festhalten, dass die Arbeit der Arbeiter und der Einsatz der Unternehmer mit diesem Tarifergebnis eine neue, deutlich größere Wertschätzung erfahren haben.
Ihr seht, dass ich mir hier den Blick in die berühmte Glaskugel erlaubt habe. Sicherlich werde ich im Sommer 2021 auf dieses Thema zurückkommen und mit den tatsächlichen Entwicklungen abgleichen.
Bis dahin hoffe ich, dass wir alle gesund bleiben bzw. rasch wieder gesund werden. Lasst uns bis dahin gern gemeinsam daran arbeiten, dass auch die von mir beschriebenen, positiven Wirkungen der Corona-Pandemie im Sinne einer selbsterfüllenden Prophezeiung wirken.
Quellen
https://wirtschaftslexikon.gabler.de/definition/arbeit-31465
https://www.bundesrat.de/SharedDocs/pm/2020/005.html
https://www.arbeitsagentur.de/news/arbeitsmarkt-2020
https://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/corona-krise-der-neue-wert-der-arbeit-16749833.html
https://www.romanherzoginstitut.de/veranstaltungen/detail/der-wert-der-arbeit.html