Trägst Du Personalverantwortung in einem kleinen oder mittleren Unternehmen? Ist auch für Dein Unternehmen der Fachkräftemangel eine der größten Herausforderungen? Und bist auch Du Dir nicht sicher, wie Du das Thema Personal im betrieblichen Alltag so richtig angehen solltest?
Erkenntnisse aus meiner täglichen Arbeit mit über 600 Handwerksbetrieben zeigen, dass gerade kleine und mittlere Betriebe (KMU) noch erhebliches Verbesserungspotenzial bei der Gewinnung, Bindung und Betreuung ihrer Mitarbeiter haben.
In diesem Beitrag gebe ich Dir vier Strategieempfehlungen, die auch in Deinem Unternehmen rasch zu Verbesserungen führen können. Aufgrund der Komplexität des Themas wird dies eine Serie von mehreren Blog-Beiträgen:
- Teil 1: Herausforderungen und grundlegende Strategieempfehlungen
- Teil 2: Personalarbeit professionalisieren; Attraktivität steigern, Abwanderung verhindern
- Teil 3: Ausbildung und Qualifizierung verstärken; Neue Fachkräftepotentiale erschließen
#3: Ausbildung und Qualifizierung verstärken
Bis vor einiger Zeit waren rund zehn Prozent der Mitarbeiter im Handwerk Auszubildende, eine Quote, die nur von wenigen anderen Wirtschaftsbereichen erreicht wurde. Auch die Zahl der Ausbildungsbetriebe war im Handwerk vergleichsweise hoch, so dass nicht ganz zu Unrecht das Wort vom „Ausbilder der Nation“ die Runde machte.
Allerdings beteiligen sich nach unseren Erfahrungen gerade Betriebe, die in den letzten Jahren neu gegründet wurden oder die sich immer weiter spezialisiert haben, zunehmend weniger an der Ausbildung. Auch die Zunahme von Kleinstbetrieben im Handwerk sorgt für größer werdendes Defizite in der handwerklichen Ausbildung. Hinzu kommt, dass das Handwerk mit einem relativ hohen Anteil an Ausbildungsabbrüchen während der Ausbildung und Abwanderungen in andere Berufe und Wirtschaftsbereiche nach der Ausbildung zu kämpfen hat.
Darüber hinaus hören wir zunehmend Klagen über eine auseinanderklaffende Schere zwischen den beruflichen Anforderungsprofilen und den individuellen Leistungsprofilen der Bewerber. Schlechte Erfahrungen einzelner Ausbilder mit ihren Auszubildenden verbreiten sich dabei genauso schnell wie die umgekehrten Fälle und sorgen dafür, dass das Image einer handwerklichen Ausbildung abnimmt.
Insofern gelten die vorhergehenden Ausführungen zur Attraktivitätssteigerung genauso für den Ausbildungs- wie den Fachkräftebereich.
Hinzu kommt, dass die betriebliche Ausbildung, z. B. im Rahmen des dualen Ausbildungssystems oder auch im Zuge eines dualen Studiums, für den Betrieb häufig die kostengünstigste – weil am wenigsten fehleranfällige – Personalgewinnungsstrategie ist. Zahlreiche Untersuchungen belegen, was die meisten Ausbildungsbetriebe aus der Praxis bestätigen: Ausbildung kostet auf den ersten Blick Zeit, Nerven und Geld. Auf den zweiten Blick werden diese Investitionen aber z. B. über die Möglichkeiten der betriebsspezifischen Ausrichtung der Ausbildung, die stärkere betriebliche Sozialisation und Bindung der Auszubildenden, die sehr viel niedrigeren Rekrutierungskosten und die signifikant geringeren Fehlentscheidungen bei der Übernahme von Auszubildenden im Vergleich zur Neueinstellung von ausgebildeten Fachkräften ausgeglichen oder sogar überkompensiert.
Neben der Ausbildung solltest Du auch den Bereich der Weiterbildung nutzen, um die vorhandenen und zum Teil ggf. noch gar nicht entdeckten Potentiale deines Mitarbeiterstamms nutzen zu können. Weisst Du, welcher deiner Naschwuchskräfte in der Lage sein wird, den in einigen Jahren in den Ruhestand gehenden Vorarbeiter zu ersetzen? Weisst Du welche Unterstützung/Qualifizierung er bis dahin noch nötig hat? Wenn ja, bist Du auf dem richtigen Weg. Wenn nicht, solltest Du sich auf den Weg machen und die Potentiale deiner Mitarbeiter systematisch erfassen und gezielt fördern. Der hierfür notwendige zeitliche und finanzielle Aufwand lohnt sich in der Regel, denn ohne (die richtig qualifizierten) Mitarbeiter wirst Du dich langfristig kaum am Markt durchsetzen können.
Und auch bei der Ausbildung und Qualifizierung solltest Du die Stärken der kleinen und mittleren Unternehmen gezielt einsetzen: Gehe individuelle und ungewöhnliche Wege, die zu dir und deinem Unternehmen passen und dich von den Mitbewerben unterscheiden.
Biete auf die jeweiligen Potentiale abgestimmte Unterstützungsmöglichkeiten: Baue Brücken für Frauen in Männerberufe und umgekehrt. Versuche die Erfahrung der älteren Mitarbeiter durch Fortbildung und Wissensmanagementsystem für dein Unternehmen zu bewahren und den Kollegen weiterhin motivierende Entwicklungsperspektiven in deinem Team aufzuzeigen. Spreche bisher eher Gering- oder Niedrigqualifizierte an und erarbeite individuelle Weiterbildungspläne, die die Erfordernisse deines Unternehmens und die persönlichen Möglichkeiten des Mitarbeiters berücksichtigen.
Daher empfehle ich Dir:
- bilde aus, denn Ausbildung rechnet sich langfristig.
- investiere in die Qualifizierung der Mitarbeiter, denn Sie sind deine wichtigste Ressource.
- nutze die persönliche Nähe um vorhandene Potentiale bei deinen Mitarbeitern systematisch zu erkennen und gezielt zu fördern.
#4: Neue Fachkräftepotentiale erschließen
Gerade kleine und mittlere Betriebe scheuen oftmals noch davor zurück, bei der Suche nach Fachkräften auf Frauen, Ältere, Geringqualifizierte, Personen mit Migrationshintergrund und/oder Personen mit einer (Schwer-)Behinderung zuzugehen.
Häufig stehen Befürchtungen hinsichtlich der körperlichen Leistungsfähigkeit, der Belastbarkeit, der familiären Einbindung sowie der fachlichen und sprachlichen Kapazität vorne an. Immer wieder wird auch die Frage gestellt, ob der genannte Personenkreis in das funktionierende Mitarbeiter-Team integriert werden kann oder ob die (vermeintlichen) bürokratischen und formellen Hürden nicht zu hoch sind.
Dabei kennen die allermeisten Betriebsinhaber gute Beispiele, wo alle diese Befürchtungen nicht eingetreten sind und die neuen Mitarbeiter rasch zu einem wertvollen Teammitglied wurden.
Besonders beeindruckend sind in unserer Region z. B. die vielen Erfolgsgeschichten über Auszubildende, die mit ihren Familien aus der ehemaligen Sowjetunion immigriert sind und nun als besonders fleißige und ehrgeizige Arbeitnehmer gefragt sind.
Und dies sollte uns gerade in unserer Region ermutigen, verstärkt auf Personen mit einem Migrationshintergrund zuzugehen, denn häufig stehen nur vordergründige Sprachproblem dem Heben eines wahren Schatzes an fachlicher Kompetenz im Wege. Und auch die Sprachprobleme können sich z. B. bei einem entsprechenden Kundenstamm auf den zweiten Blick als Zusatznutzen erweisen.
Auch bezüglich der Beschäftigung von Frauen in so genannten Männerberufen erreichen uns vermehrt positive Meldungen. Denn auch wenn die Skepsis vieler Frauen gegenüber den hohen körperlichen Anforderungen in den Handwerksberufen noch weit verbreitet ist, gelingt es den Betrieben zunehmend deutlich zu machen, dass u. a. durch den Einsatz von technischen Hilfsmitteln und neuer Werkstoffe auch das vermeintlich „schwache Geschlecht“ in der Lage ist, die notwendigen Arbeiten zu erledigen.
Hinzu kommt, dass die zum Teil andere Herangehensweise von Frauen und die veränderte Kommunikation in gemischten Teams auch dem Betrieb Vorteile bieten können.
Enorme Potentiale bieten sich für Betriebe auch in Verbesserungen des Wissensmanagement. Unternehmer, die sich frühzeitig Gedanken dazu machen, welche Instrumente sie einsetzen, um die Leistungsfähigkeit und Motivation der Mitarbeiter möglichst lange zu erhalten und mit welchen Maßnahmen Sie das Wissen, das sich häufig nur im Kopf der Älteren befindet, so dokumentieren, dass es auch nach deren Ausscheiden zugänglich ist, sind auf einem guten Weg, die betrieblichen Fachkräftepotentiale optimal zu erschließen.
Besondere Vorbehalte bestehen gegenüber Menschen mit einer (Schwer-)Behinderung, denn häufig wird in erster Linie auf die Einschränkungen und Hürden und weniger auf die Chancen geschaut. Aber auch hier sollten Betriebe nicht nur aus dem Gefühl einer sozialen Verantwortung, sondern ebenfalls aus betriebswirtschaftlichen Gründen im Einzelfall überlegen, ob nicht z. B. auch ein Mitarbeiter mit einer Sehbehinderung oder Diabetes o. ä. über die nötigen, ggf. sogar über die besseren Kompetenzen zur Erfüllung der gestellten Aufgaben verfügt.
Nicht nur für Menschen mit Behinderung, sondern auch für die anderen genannten Potentialgruppen gibt es in der Region spezielle Anlauf- und Beratungsstellen, die die Betriebe mit Informationen und ganz konkreten Maßnahmen unterstützen. So leisten neben der Kreishandwerkerschaft z. B. die Koordinierungsstelle Frauen & Wirtschaft oder der Integrationsfachdienst für Schwerbehinderte Menschen im Arbeitsleben sehr gute Arbeit, in dem sie sich gemeinsam mit Betrieben und Arbeitnehmern intensiv um die Lösung der spezifischen Herausforderungen kümmern und ggf. auch den Zugang zu Fördermitteln aufzeigen.
Daher empfehle ich Dir:
- gehe ungewöhnliche Wege und erschließe für dich vorhandene Fachkräftepotentiale jenseits der eingetretenen Pfade.
- erkenne die Vorteile und weigern dich, nur die Probleme zu betonen.
- nutze die Unterstützung der Beratungs- und Koordinierungsstellen, die sich auf die Fragen der neuen Potentialgruppe spezialisiert haben.
PS: Dieser Blog-Post beruht auf einem Text, den ich bereits im Jahr 2012 für die Kreishandwerkerschaft Cloppenburg veröffentlicht habe.